Lehrerkind
»Glückwunsch, es ist eine … Kuh«, worüber Sultan aber nicht lachen konnte.
Dr. Holbrecht schon, er gab mir für den Rest des Tages frei und bot mir sogar an, in seiner Privatwohnung zu duschen.
Als ich nach Hause kam, saßen meine Eltern im Wohnzimmer und spielten Karten. Mein Gesichtsausdruck erinnerte an einen Nierensteinabgang, außerdem roch ich noch immer, als hätte ich seit meiner Geburt in der Mülltonne vor dem Haus geschlafen.
»Vielleicht werde ich doch lieber Anwalt«, murmelte ich in ihre Richtung, während ich wie eine Schnecke eine Kotspur hinter mir herzog. Den Rest des Tages verbrachte ich mit einem Mentholinhalator in meinem Zimmer und studierte den Studienratgeber der Uni Dortmund.
Als ich mich am nächsten Morgen an den Frühstückstisch setzte, lag der Schuldschein über die 465 Mark auf meinem Teller. Mein Vater hatte ihn in der Mitte durchgeschnitten.
Der Biologielehrer
Biologielehrer sind wohl die Lehrkräfte, die am leichtesten zu identifizieren sind. Sie wirken im Schulalltag immer ein wenig deplatziert, die asbestverseuchten Schulgemäuer, die sich wie trostlose Leichensäcke aus Granit in das Stadtbild legen, sind für den naturverbundenen Biologielehrer wie ein Gefängnis, denn schließlich hat er sein Studium ursprünglich begonnen, um Schülern die Schönheit unserer Natur zu vermitteln. Über die Jahre ihres Beamtendienstes beginnen die Biologielehrer ein eigenartig eremitenhaftes Leben, sie bilden eine Art pädagogische Subkultur innerhalb der Schule, die so weit von der nikotingetränkten Resignation des sonstigen Lehrkörpers entfernt ist wie David Hasselhoff heutzutage vom Charterfolg. Während die anderen Lehrer den Rückzugspunkt Lehrerzimmer festungsartig ausbauen, zieht es den Biologielehrer in die Natur, notfalls kann selbst der Beobachtungsposten vor dem Schimmelwuchs im warmen Kellergewölbe der Schule als Zufluchtsort vor dem Unterrichtsalltag dienen. Da hockt er nun, der gemeine Biologielehrer (lat. Biologis pädagogicus), umringt von seinen in Formaldehyd eingelegten Wegbegleitern namens Opossum und Wabenkröte, und betet für ein schnelles Verstreichen seines vierzigjährigen Schuldienstes. Viele Biologielehrer befriedigen autodestruktive Tendenzen durch das Heranzüchten von Tieren, die sie dann mit einer besorgniserregenden Genugtuung an noch größere Tiere verfüttern. Ich erinnere mich, dass eine sympathische, aber verblendete Mitschülerin von mir unserem Biologielehrer Dr. Bommelheim einmal einen Pappkarton voller Hühnerküken entriss, die eigentlich in die Fänge seiner Schmucknatter Jutta sollten, und mit diesen aus dem Schulgebäude flüchtete. Was aus den Küken wurde, ist Hörensagen, als ich die sympathische Mitschülerin ein paar Jahre später wieder traf, führte sie jedenfalls keine Gruppe erwachsener Hühner mit sich.
Männliche Biologielehrer haben oft etwas Einsiedlerhaftes. Unser Lehrer Dr. Bommelheim lebte in einer Holzhütte im Wald, wusch seine Kleidung in den kalten Strömen eines Bachs und produzierte seinen eigenen Käse. Nebenbei roch er, als würde er sich vor dem Schlafengehen selbst in Formaldehyd einlegen, dazu passend trug er stolz einen grauen Rauschebart vor sich her, der am Saum schon vom Rauch selbst gedrehter Bantam-Zigaretten vergilbt war. Dass keine Frau sein Bett teilte, überraschte wenig, jedoch schien er auch an seiner eigentlichen Lebensaufgabe, dem Lehrerdasein, bemerkenswert wenig Interesse zu haben. Eigentlich zeigte er uns nur Super-8-Schmuddelfilmchen aus den Siebzigern, die wohl unsere längst erfolgte Aufklärung herbeiführen sollten. Während er in einem Hinterzimmer des Klassenraums selig Schmetterlinge mit Ammoniak vergiftete, sahen wir Heiner Lauterbach (noch mit Haaren auf dem Kopf!) dabei zu, wie er sich in verschiedenen Stellungen im »Schulmädchenreport 6« abmühte. Dieses Szenario beschreibt nicht nur relativ passend den Rahmen, in dem ich das erste Mal Sexualität tatsächlich zu sehen bekam, nämlich in Form eines dümmlich schwitzenden Heiner Lauterbach, sondern auch, wie der Biologielehrer seiner schulischen Tätigkeit nachgeht: Mit einer gewissen Gleichmütigkeit klärt er Kinder über Sexualität auf, während er selbst keine hat, und verbringt die restliche Zeit damit, lebendige Tiere in den Zustand der Unvergänglichkeit zu versetzen, indem er sie zunächst vergiftet und dann fein säuberlich präpariert.
Dr. Bommelheim war auch in seinem restlichen Verhalten ein Kuriosum in
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