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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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mir auf ewig den Abdruck seiner Schneidezähne in den Arm stanzte. Danach kam ein bulliger Mann mit einem noch bulligeren Hund in die Praxis; es war entweder ein Dobermann, ein Rottweiler oder ein Bisonbulle. Der Hund hieß Sultan und war Wachhund auf dem Firmengelände eines Autohauses. Oder eher eines Hehlerschuppens, jedenfalls ließ die Anmutung seines Herrchens mit Bomberjacke und durchrasierter Augenbraue Ähnliches vermuten. Der Mann hieß Dragan. Sultan sah trotz seiner Statur recht jämmerlich aus, sein Kopf hing schlaff herunter und sein Oberkörper zitterte.
    »Wasch isch mit den Hund, der is kaputt, oder?«, eröffnete das Herrchen das Diagnosegespräch.
    Dr. Holbrecht schaute in Sultans Rachen, eine Reihe bemerkenswert weißer Zähne klaffte hervor.
    »Was hat er als Letztes gegessen?« Die Frage war berechtigt. Dem Geruch nach zu urteilen war es ein Seekuhkadaver mit Knoblauch gewesen, ich hielt mir angeekelt die Hand vor den Mund.
    Es stellte sich heraus, dass Herr Dragan seinen Hund mit Schlachtabfällen fütterte, was an sich schon nicht sonderlich tierlieb war. Dass der Hund dabei allerdings den ganzen Unterschenkelknochen eines Rinds verschluckt hatte, war sicherlich nicht im Sinne des Herrchens gewesen, denn der Darmverschluss schränkte Sultans Kompetenzen als Wachhund erheblich ein. Schnelles Handeln war angesagt, Dr. Holbrecht verfiel jedoch nicht in unnötige Hektik, sondern holte ganz langsam einen Eimer heraus, in dessen Boden ein langer Schlauch eingepasst war. Es sah ein wenig aus wie ein Ersatzeuter für die Handaufzucht von Kälbern, aber dafür war der Eimer leider nicht gedacht.
    Dann sprach Dr. Holbrecht das allererste und einzige Mal während meines Praktikums direkt zu mir.
    »Du machst das«, brummte er mit seinem überraschend wohlklingenden Barry-White-Organ und drückte mir den Schlauch in die Hand.
    Ich stand da, als hätte mir der Präsident gerade den Koffer mit den Atomraketencodes überreicht. Simone schaute mich betreten an, irgendwie erinnerte mich das an den Blick meines Vaters. Das konnte nichts Gutes heißen. Sultan wimmerte ein leises »Auweia«.
    Der Knochen, der sich in seinen Gedärmen verkeilt hatte, war nur durch einen Einlauf oder eine kostenintensive Operation wieder zu entfernen. Dr. Holbrecht hatte bereits richtig geschlussfolgert, dass Herr Dragan kein Vertreter der Franz-von-Assisi-Fraktion war und deshalb die rustikalere Behandlungsform favorisierte.
     
    Meine genaue Aufgabenstellung bestand darin, den Gummihandschuh bis zur Achsel hochzuziehen und großzügig mit Gleitgel einzucremen – und dann sollte ich mit dem Arm und dem Schlauch, aus dem warmes Seifenwasser floss, mit vollem Karacho rein in den Sultan.
    Dr. Holbrechts Gesichtsausdruck vermittelte eindeutig die Botschaft, dass ich mit einer Befehlsverweigerung nicht durchkommen würde, also schien mir »Augen zu und durch« die einzige Option zu sein.
    Dr. Holbrecht und Simone begannen Sultan zu fixieren. Nachdem sein Brustkorb festgeschnallt und ein Maulkorb angebracht war, begann ich damit, in Galaxien vorzudringen, die vor mir noch nie ein Mensch gesehen hatte. Als ich anfing, Sultan den Schlauch einzuführen, erwachten plötzlich seine Lebensgeister, und aus dem jauchzenden Häuflein Elend wurde wieder der hochgezüchtete Wachhund. Als ich langsam Richtung des unverdauten Knochens vorstieß, schoss mir ein Schwall angestauter Darmgase entgegen, die mir erfolgreich den Scheitel glattzogen und Herrn Dragan zu einem sehr angebrachten »Oh mein Gott, isch kotz gleich« verleiteten.
    Was danach kam, verbietet eigentlich jede Beschreibung. Während ich in Sultan herumfuhrwerkte, als wäre der Hund ein verstopfter Abfluss, versuchte er sich vom Behandlungstisch loszureißen und mich samt Gummihandschuh und Mundschutz aufzufressen. Dr. Holbrecht und Simone hielten mit aller Kraft dagegen, und als ich endlich den Knochen zu fassen bekam und ihn herausziehen wollte, schoss mir Sultan zum Dank noch vier Hektoliter halb verdaute Schlachtabfälle ins Gesicht. Herr Dragan verlor vor Ekel die Besinnung und knallte auf den Boden des Behandlungsraums. Ich hingegen blieb zugekackt, aber zielstrebig, kniff die Augen zusammen, hielt die Luft an und verzichtete auf jede Reflexion dessen, was mir da gerade um die Ohren flog. Endlich kam der Rinderknochen zum Vorschein, er war so groß wie eine Salatgurke und zur Hälfte abgenagt.
    Während ich mir die Posuppe vom Oberteil strich, sagte Simone:

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