Lehrerkind
bereit war, sich mit viel Tamtam im Schulgarten bestatten zu lassen. Während sich meine Klassenkameraden gemeinschaftlich ins Delirium tranken, verlegte ich mich auf extremes Fremdschämen. Das also sollte der Abschluss von dreizehn Jahren Schulaufenthalt sein? Dreizehn Jahre, die damit begonnen hatten, dass meine Schultüte ihren Inhalt auf den Pausenhof erbrach, jeder meine fragwürdigen Pumucklunterhosen kannte und ich in schöner Regelmäßigkeit neue Negativrekorde im Schulsport aufstellte? Ja, beschloss ich, das war der krönende Abschluss – und griff mir ebenfalls einen Strohhalm aus dem Sangria-Eimer.
A Night to Remember
Ein paar Tage später folgte noch eine Formalie, vor der es mir noch mehr graute als vor dem Abischerz: der Abiball. Das Schlimmste daran war, dass man nicht nur sich selbst in Schale werfen musste, sondern auch noch Eltern und Verwandte zusehen durften, wie man seine dösige Urkunde überreicht bekam und am Ende eine Dame zum Tanz aufforderte. Ja richtig, man sollte mit Partnerin erscheinen, was für mich schwieriger war als ein weißes Einhorn zu finden, das den ganzen Abend mit mir auf der Tanzfläche moonwalkte. Nach so vielen Jahren, in denen die Mädchen meiner Klasse wöchentlich im Sportunterricht daran erinnert wurden, welch stattliche Knabenbrüste sich unter meinem hautengen Fußballtrikot verbargen, war meine Auswahl an Begleiterinnen doch recht eingeschränkt. Eigentlich fiel mir nur Nina Tegtmeier ein, von allen nur »nasale Nina« genannt, die aufgrund einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung seit jeher wie ein Seeelefant mit Schnupfen klang. Grausamerweise hatten ihre Eltern sie auch noch Nina genannt, was aus ihrem Mund zu einem gequetschten »Nnnnäännnna« wurde und die Klasse regelmäßig in lautes Lachen ausbrechen ließ.
Dann kam der große Abend, ich stand vor Nina Tegtmeiers Tür, bekam vor Aufregung mehrere Erstickungsanfälle und klopfte nach zähen Minuten Bedenkzeit schließlich an.
Ninas Vater öffnete mir die Tür und hinter ihm kam Otto Waalkes im Brautkleid zum Vorschein.
Ninas dünnes Haar und ihre schlaksigen Arme verliehen ihr auf den ersten Blick etwas Marionettenhaftes, was sich leider auch auf den zweiten Blick nicht auflöste.
Jedenfalls war sie fast so groß wie ich, was den Tanzpart schon mal deutlich erleichtern würde. Wenn sie es denn vor lauter Lachen mit mir auf die Tanzfläche schaffen würde. Denn beim Anblick meiner straff gespannten Polyester-Brust entgleiste ihr kurz das Gesicht und ein gelogenes und gewohnt nasales »Schönnnn« durchbrach die Stille.
Nach einer stundenlangen Odyssee durch die Übergrößenabteilungen verschiedener Modegeschäfte der Gelsenkirchener Innenstadt war ich auf der Suche nach passender Festbekleidung mit meiner Mutter bei C&A gestrandet. Herr Hübner, seines Zeichens Abteilungsleiter, schwuler als die Village People und mit einer goldenen Krawattennadel ausgestattet, präsentierte mir und meiner Mutter mehrere Anzugkombinationen für »füllige Herren«, die allesamt aussahen wie Ottfried Fischers Schlafanzüge. Immer, wenn Herr Hübner »füllige Herren« sagte, schoss sein gezwirbelter Schnurrbart aufmunternd in die Höhe. Meine Mutter und er hatten sich nach wenigen Minuten darüber verständigt, dass ich nicht nur der Untergruppe »füllige Herren« sondern auch dem Splitterverein der »hohen Hosen« angehörte, weil meine Gliedmaßen trotz einer beachtlichen Bauchschürze geradezu spinnenhafte Ausmaße angenommen hatten. Nach einigen Stunden erfolgloser Suche blieben nur zwei Stücke Konfektionsware übrig, die nach billigem Polyester rochen und die unvorteilhaften Kurven meines Körpers auf eine Weise betonten, dass ich aussah wie Miss Piggy als albanischer Türsteher. Der eine Anzug war in Dunkelbraun gehalten und kostete samt Krawatte und Alditüte für den Kopf beachtliche 198,99 Euro, was meine Mutter unter Betonung der Singularität des Anlasses dazu verführte, das preiswertere Modell in klassischem Schwarz zu kaufen. Mit dem hohen weißen Kragen und ausladenden Rüschen im Brustbereich passte ich als Bestatter der Spaßgesellschaft immerhin ganz gut zu unserem Motto »Abicula«. Nichts anderes assoziierte wohl auch Nina Tegtmeier, die meinem Outfit immer wieder irritierte Seitenblicke zuwarf und mir dann auf der Rückbank unseres Passats wortlos den Flachmann reichte.
Gemeinsam mit meinen Eltern zuckelten wir nun also zum Abiball, der letzten Zeremonie, die mich noch von der
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