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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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meine Einsicht.
    »Genau! Außerdem ist es dann vorbei mit der sexuellen Selbstfindung. Höre auf einen alten Mann.«
    Er führte die Vorteile eines besonders promiskuitiven Lebensstils noch weiter aus, und ich kam mir langsam so vor, als würde ich im Wigwam sitzen und bei einem Joint mit Ravi Shankar über die Vielweiberei philosophieren.
    »Also nichts gegen dich, Nadja, aber es gibt nun mal drei Milliarden Frauen, also rein statistisch, und aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist es einfach sehr unwahrscheinlich, dass man bei der dritten Freundin, also der dritten Frau von drei Milliarden, schon die Richtige gefunden hat.« Mein Vater versuchte offenbar, seine Anstiftung zum Rudelbumsen mit ein wenig absurder Stochastik abzufedern.
    Langsam zweifelte ich daran, dass meine Eltern meine neue Freundin Nadja mochten. Dabei war sie klug und schön und hatte mit meinen bisherigen Fehlgriffen in der Damenwelt so gar nichts gemein. Ihre Eltern, die keine Lehrer waren und einer anständigen Beschäftigung nachgingen, hatten bei der Ankündigung unseres Zusammenziehens die feinste Flasche Wein aus dem Keller geholt und sich ehrlich für uns gefreut.
    Mit meinen Eltern tranken wir Wein, der nach Frostschutzmittel und Winzerfüßen schmeckte, und selbst der Kellner fragte bei der Bestellung leicht verunsichert nach, ob wir auch wirklich den »Dolore e uomini« haben wollten, was übersetzt wahrscheinlich Witwenmacher oder Mumienwecker hieß. Mein Vater aber hatte schon sein »Gutscheinbuch« auf dem Schoß liegen und die Seite des Restaurants aufgeschlagen, dessen Abbildungen der Wirklichkeit in hohem Maße schmeichelten. Dieses Gutscheinbuch, ein besonders misslungenes Weihnachtsgeschenk meiner Mutter, befeuerte seither seinen Hang zu Perfektionismus und Akribie. Er hatte sich entschieden, wirklich jedes Geschäft aufzusuchen, das darin Vergünstigungen anbot. Neben dem Essen, das wir an diesem denkwürdigen Abend zum halben Preis aßen (was immer noch nicht die darauf folgenden Arztkosten querfinanzieren würde), hatte er sich auch schon seine Schuhe neu besohlen lassen, war im ABBA-Musical in der letzten Reihe eingeschlafen und hatte eine Ayurveda-Massage durchgestanden, die seiner Aussage nach viel zu kurz gewesen war und bei der ihn die kleine, thailändische Frau nach Anblick des Gutscheins mit Genuss gefoltert hatte.
    Eigentlich konnte man froh sein, dass manche Geschäftszweige in seinem Gutscheinbuch nicht vertreten waren, sonst hätte er sich wahrscheinlich auch kostenlose French-Nails machen lassen oder würde längst eine reduzierte Perücke aus Kamelhaar tragen.
    Jedenfalls hatte uns das Gutscheinbuch in diese Heilungsstätte für Verstopfungspatienten geführt, jedes Gericht war mit einer solchen hanebüchenen Lieblosigkeit zubereitet, dass Christian Rach beim Testessen wahrscheinlich wie ein betrunkener Fluglotse mit den Schultern gerudert hätte.
    »Jetzt tu dieses blöde Buch weg, Robert«, ermahnte ihn meine Mutter hilflos.
    »Ich werde mich schon gut um Ihren Sohn kümmern«, versuchte Nadja erneut den Grund unserer Zusammenkunft in den Vordergrund zu rücken und setzte ein hilfloses Lächeln auf.
    »Und was braucht mein Sohn?«, gackerte meine Mutter dezent hysterisch.
    »Na ja, abends ein Steak und zwischendurch mal eine aufs Maul, wenn er frech wird«, erwiderte Nadja knochentrocken.
    »Ich mag die Kleine«, flüsterte meine Mutter und rempelte dabei meinen Vater an, der mittlerweile schon wieder in seinem Gutscheinbuch blätterte.
    »Oh, man kann sich auch die Beine enthaaren lassen«, murmelte er nur.
    »Ihr haltet uns für Spießer?« Langsam fing ich an zu hyperventilieren.
    »Na ja, weißt du. Wir waren da anders«, tönte meine Mutter.
    »Ja wirklich, wir waren da anders«, stimmte mein Vater ein.
    »Wow, ich wusste gar nicht, dass ich der Kommunardenspross von Rainer Langhans und Uschi Obermaier bin«, versuchte ich zu frotzeln – aber im Bezug auf die Verklärung ihrer Jugend verstanden meine Eltern wirklich keinen Spaß.
    Mein Vater war eigentlich alternativ wie Bärchenwurst, es schien mir schwer, in dem Mann, der Beschwerdebriefe an Fernsehzeitungen schrieb und schon auf Fotos aus Kindertagen nach Studienrat aussah, den beinharten Hippie der 68er-Bewegung zu sehen, das APO-Frontschwein, das gegen den Schah protestierte und Rudi Dutschke verehrte.
    »Wir haben unsere Jugend genossen«, sagte meine Mutter – ihre Affäre mit Mick Jagger hatte ich wohl ganz vergessen.
    Mir schossen spontan

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