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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Surrealität.
    Meine Freundin Nadja, der ich in der ersten Studienwoche zugelaufen war, drückte meine Hand fast zu Mus, während ich mich fühlte, als müsste ich mit den Ludolfs über Jean-Paul Sartre diskutieren. Wir versuchten meinen Eltern zu erklären, warum wir sie heute Abend hatten treffen wollen, nebenbei setzte uns der Kellner gelangweilt eine Ansammlung von Nudelgerichten vor. Die Bolognese sah aus, wie ich mich fühlte.
    Hinter uns rauschte eine Bahn am Fenster vorbei, die Wände zitterten. Beim Anblick unseres Kellners assoziierte man nicht zuerst »Gastronomie«, sondern viel eher »Einzelhaft«, auf seinem Unterarm prangte ein Spinnennetz, in dessen Mitte sich eine schlecht gezeichnete, nackte Frau räkelte. »Wir hatten immer gedacht, dass ihr mit solchen Schritten noch warten wolltet«, sagte mein Vater in beschwichtigendem Pädagogenton, während meine Mutter nervös an ihrem Weinglas nippte.
    »Schönes Restaurant«, brach es unvermittelt aus ihr hervor. Themenwechsel.
    Wie unrecht sie hatte. Über uns gurrte Dean Martin »Amore, Amore« aus einem rostigen Lautsprecher, wir waren die einzigen Gäste. Zu Recht. Selbst für Gelsenkirchen war dieses Restaurant ein Schandfleck, ein Laden, der wahrscheinlich nur der Geldwäsche diente und in den sich Ortsunkundige selten bis nie verirrten. Gäste waren hier eigentlich nicht vorgesehen, und die dicke Frau betonte diese Einstellung nur, als sie sich gedankenverloren über ihre bemerkenswerte Armbehaarung strich. Es sah aus, als würde sie zwei Hundewelpen unter ihren Achseln mit sich herumtragen. Dann plärrte sie unvermittelt unseren Kellner auf Italienisch an und wedelte verzweifelt mit beiden Armen. Als er ihre Aufregung nur mit einem lauten »Psssscht« beantwortete, verstummte die Frau und ging unvermittelt wieder in den Zustand starrer Freudlosigkeit über, in dem sie schon verharrte, seitdem wir das Restaurant betreten hatten.
    »Seid ihr denn wirklich schon so weit, ein gemeinsames Leben zu beginnen?«, wagte sich mein Vater erneut aus der Deckung. Seine Mimik und Gestik vermittelten den Eindruck, als würde an unserem Tisch gerade etwas Geschichtsträchtiges geschehen: Als hätte ich ihnen etwa vorgeschlagen, auf einem selbst gebauten Kanu nach Amerika überzusetzen und den USA mit einem Küchenmesser bewaffnet den Krieg zu erklären. Dabei wollten meine Freundin Nadja und ich nur zusammenziehen. Ich war mittlerweile mit dem Zivildienst fertig und mitten in der Hölle des Lehramtsstudiums angekommen. »Ich denke schon«, stammelte ich. Ich stammelte im Gespräch mit meinen Eltern eigentlich andauernd. Man stellt sich im Gespräch mit anderen Leuten ja immer eine ganze Menge Antworten vor, auf die man sich entsprechend die passende Antwort zurechtlegen kann. Bei meinen Eltern war das anders. Wenn ich ihnen etwas mitzuteilen hatte, wich ihre Reaktion mit so bewundernswerter Sicherheit von allen Kommunikationsnormen ab, dass mein Gehirn erst einmal neu booten musste und ich anfing zu stottern wie der Dorfpfarrer im Swingerclub.
    »Wollt ihr euch nicht noch mit anderen Partnern ausprobieren, Dinge erleben?«, erkundigte sich meine Mutter.
    »Wie bitte?«, prustete ich heraus, langsam setzte bei mir die Schnappatmung ein.
    »Na ja, seid doch nicht so spießig, ihr seid doch noch so jung, da kann man doch noch nicht alles gesehen haben.«
    Äääh …, dachte Nadja.
    »Äääh …«, sagte ich.
    »Na ja, es gibt so viele Menschen auf der Welt, da kann man doch nicht mit einundzwanzig schon den Richtigen gefunden haben«, streute meine Mutter weiter Salz in die Dialogwunde. Viel schlimmer konnte es jetzt nicht mehr werden.
    »Ähm, ja aber wir wollen doch nur zusammenziehen«, versuchte ich das Gespräch auf ein normales Niveau an Zurechnungsfähigkeit zurückzuholen.
    »Ja, aber das ist ein großer Schritt, Bastian«, erwiderte mein Vater, und meine Mutter nutzte die Gunst der Stunde, um uns einen Ausblick in die emotionale Apokalypse zu gewähren:
    »Ja, zuerst lebt man nur zusammen, dann kommt ein Vogel, dann ein Hund, dann ein Kind, und eines Tages sitzt du in einem umzäunten Palast aus Beton und Glas, der Vogel kräht, der Hund bellt, das Kind schreit, und du weinst«, fasste meine Mutter in einer Reihe von Relativsätzen ihre empfundene Lebenswirklichkeit zusammen.
    »Und deswegen sollen wir nicht zusammenziehen, weil ihr Angst habt, dass wir aus unserem Leben ein Tierheim mit Kinderhort im Luxuspalast machen?«
    Mein Vater freute sich über

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