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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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die Bilder aus dem Sechzigerjahre-Partykeller meines Vaters durch den Kopf, die meine Oma immer bei Besuchen auspackte. Wie er da mit Schlips und Hemd, beschwipst von alkoholfreier Fruchtbowle mit Nachbarsmädchen tanzte, deren abstruse Turmfrisuren nur von ihren Dame-Edna-Brillen übertroffen wurden. Das musste ja wirklich eine wilde Zeit gewesen sein. Ich schwieg lieber.
    Der Kellner stellte uns den Nachtisch hin. Das Tiramisu sah aus, als müsste man vor dem ersten Löffel eine Zusatzklausel für die Lebensversicherung abschließen. »Ja, aber seht doch mal die Vorteile, die Mietkosten werden geringer, wir teilen uns einen Telefonanschluss, das Internet und ein Auto«, versuchte es Nadja erneut.
    »Jaja, Spießer«, winkte meine Mutter ab und weckte in mir die wenigen Prozent Wutbürger, die meine deutschen Gene zuließen.
    »Das kann doch echt nicht euer Ernst sein, was wäre euch denn lieber, wenn ich ein koksendes, polygames Muttersöhnchen wäre, das mit vierzig immer noch Muttis Kühlschrank leer frisst?«
    »Jetzt wirst du aber hysterisch, Bastian«, sagte meine Mutter, und es war das Erste, was heute aus ihrem Mund nicht hysterisch klang.
    »Nein, aber es kann doch nicht sein, dass ihr uns hier so ein absurdes Bild von Freidenkertum und Kommunenleben vorschlagt, anstatt euch einfach zu freuen, dass euer Sohn sich Mühe gibt, ein halbwegs rechtschaffenes Leben zu führen und sich eine Zukunft aufzubauen.«
    Langsam klang ich, als müsste ich ein Plädoyer vor einem Untersuchungsrichter halten.
    »Na ja, wir freuen uns doch, Bastian, nicht dass du uns falsch verstehst, wir haben nur nicht damit gerechnet, dass das schon so früh kommt. Du bist doch noch so jung«, moderierte mein Vater.
    »Und ein Spießer …«, schob meine Mutter hinterher und zerschnitt das zarte Band der Generationenverständigung, das mein Vater gerade zu knüpfen versucht hatte.
    Kurz bevor ich begann, mir vor Wut selbst die Augenbrauen abzubeißen, unterbrach mich Nadja, die sich das neurotische Geschwafel meiner Eltern wohl lange genug angehört hatte:
    »Wir versprechen auch, dass wir jeden Abend Crack rauchen und Swingerpartys veranstalten, das volle Caligula-Programm, macht euch keine Sorgen«, sprach sie dem Wahnsinn ein Urteil.
    Nun musste sogar meine Mutter lachen, auch mein Vater war von so viel Zuspruch zum Irrsinn erheitert.
    Ich schluckte meinen mehrminütigen Monolog zur Familienabspaltung herunter und wir prosteten uns heiter zu.
    »Auf euch und euer neues Zuhause«, sagte mein Vater und legte ein wenig Harmonie über das Desaster dieses Abends.
    Als die Rechnung kam, präsentierte der Kellner uns das erste Mal seine beachtliche Ansammlung von Goldzähnen, ich kam dabei nicht umhin, mir vorzustellen, wie er sie aus den Mündern zahlungsunwilliger Kunden gebrochen hatte.
    Mein Vater besaß keine Goldzähne, aber ein Gutscheinbuch, mit dem er die kurzfristige Idylle dieses Abends zur Implosion brachte. Er kramte die passende Seite hervor und legte sie dem Kellner mit so bedeutungsvoller Mimik hin, als müsste er das Lösungswort bei der Einreise in ein paschtunisches Talibanlager aufsagen. Dieser schüttelte nur den Kopf und sagte in einem sehr osteuropäisch klingenden Dialekt: »Ungültig.« Dann deutete seine behaarte Fingerkuppe auf das Kleingedruckte des Gutscheins, in dem zu lesen stand, dass er genau vor zwei Tagen, am 30. April, abgelaufen war.
    Mein Vater starrte auf den Gutschein und wartete anscheinend darauf, dass der Kellner uns aufforderte, die Hälfte des Essens wie die Otter im Bau wieder hervorzuwürgen, damit man trotz dieser unvorhergesehenen Komplikationen nur die Hälfte würde bezahlen müssen. Dann zog er jedoch mit schmerzverzogener Miene einen Geldschein aus dem Portemonnaie und überreichte ihn dem Kellner in staatstragender Manier. Es fehlten nur Fanfaren und Konfetti.
    Selbst der Schnaps, den uns der Kellner zum Abschied auf Kosten des Hauses servierte, rettete seine Stimmung nicht mehr. Erst wollte der einzige Sohn nicht die Protestgene seiner Eltern geerbt haben, und jetzt musste man auch noch den vollen Preis für seine Lebensmittelvergiftung zahlen.
    Schweigend stürzten wir den trüben Schnaps unsere Kehlen hinunter.
    Im Hintergrund sah ich, wie die dicke Frau wieder ihre Arme hochriss und ein stummer Schrei aus ihrem breiten Mund entwich. Ich dachte kurz darüber nach, ob wir gerade gemeinsam zum Schierlingsbecher gegriffen hatten, doch dann hörte ich aus Nadjas Ecke nur ein genervtes

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