Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
Vom Netzwerk:
Angstlosigkeit schaffen, in der sie allererst die Möglichkeit hätten, zu sich selbst zu finden. Hierarchien, meldete sich Achim Renner, seien ja ganz gewiss nicht das, was man gemeinhin, und im Übrigen müsse man Kreativität ja, auf Bali zum Beispiel, wolle er sagen, habe man ein ganz anderes Menschenbild, das Wurzeldenken, das westliche, sei ja, sozusagen, ganz im Gegensatz zum Denken auf Bali, dort sei dies keinesfalls ausgeprägt, vielmehr ändere sich der Name des Menschen sozusagen mit der Geburt seiner Kinder, statt wie bei uns, und man könne sagen, auch Hierarchien müssten ja irgendwie aufzubrechen sein, sodass ein konstruktives Chaos allererst entstehen könne, um nicht in diesem Wurzeldenken verhaftet zu bleiben, wohingegen auf Bali, Chaos, um es kurz zu machen, sei allererst die Quelle der Kreativität. Ob er das mit dem Wurzeldenken noch mal wiederholen könne? fragte ich, doch Pascal ergriff wieder das Wort und sagte, Echtheit, Authentizität, von innen heraus, zu dem stehen, was man wolle, sich nicht unterkriegen lassen, sich ent ziehen, die pädagogische Freiheit ausschöpfen, sich über den Lehrplan hinwegsetzen, zum Eigenen zurückfinden, Ausloten dessen, was wirklich in einem vorgehe, Bildungsmüll entfernen, Wissenshalden ausmisten, echtes, menschliches Erfahren spürbar und die Stimme im Innern der Schüler hörbar machen, Befindlichkeiten – letztlich gehe es immer nur um Befindlichkeiten – Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen, Selbstoffenbarung und Infragestellung, Infragestellung seiner selbst und des Anderen, wer bin ich, wer ist der Andere, wo gehe ich hin, wo geht der Andere hin, was will ich hier, was will der Andere hier? Und nun erzählten die drei eine Fülle von Beispielen, die ihren Idealen zutiefst widerstrebten, eine Fülle von Situationen, unter denen sie litten und schleichend zugrunde gingen, und wir tranken Bier um Bier, und je mehr die drei redeten, umso heftiger stieg auch ich in die Diskussion ein, umso rückhaltloser trat auch ich aus mir selbst heraus, bis ich schließlich das Gespräch ganz an mich gerissen hatte und plötzlich in einem unüberschaubaren Schwall von Worten mein Einstellungsgespräch beim Direktor schilderte, sodass die drei verstummten und mir genauestens zuhörten, um kein Wort zu verpassen. Dann schwiegen wir. Renner bestellte eine neue Runde. Immer noch sagte keiner ein Wort. Schon dachte ich, ich hätte einen Fehler gemacht, mich zu weit aus dem Fenster gelehnt, schon wollte ich sagen, es sei ja doch alles nicht so schlimm, die Kollegen seien nett, ich hätte im Grunde genommen Glück gehabt mit der Schule, da meldete sich Achim Renner und sagte, der Direktor habe Recht. Wie er das meine? fragte ich. Das Als-ob, sagte er. Wir, der harte Kern der KG , täten doch auch nur so, als ob wir etwas ändern wollten, zu sehr seien wir verwurzelt mit dem, was uns durch die Hierarchien im chaoslosen Raum geboten werde, während auf Bali … Ja, unterbrach ihn Josef, es stimmt. Und bekam plötzlich leuchtende Augen. Einen Augenblick lang dachte ich, er hätte zu viel getrunken, dann aber stand er auf, hielt sich kurz am Tisch fest, stand aber ohne zu wanken da und sagte in feierlichem Tonfall, dass jetzt, hier und heute, der Augenblick gekommen sei, zur Tat zu schreiten. Pascal und Renner starrten zu Jensen hoch und sagten, was soll das, lass das, setz dich wieder hin, wir … Nein, sagte Josef Jensen. Nun, zu viert, mit unserem neuen Verbündeten an der Seite, hier, heute, wolle er den feierlichen Schwur leisten … Hör auf, sagte Renner, wir sind doch nicht auf Bali … Den feierlichen Schwur, sagte Josef, dass er fortan der Kraft der Rede Taten folgen lassen wolle, dass er fortan nicht mehr untätig mit ansehen wolle, wie alles von uns Ausgesprochene unausgelebt im Hinterzimmer des Stuttgarter Ratskellers zerschelle, dass er fortan in den Kampf ziehen und sich dem System in all seinen teuflischen Ausprägungen stellen wolle. Dann setzte er sich wieder und sah in die Runde. Pascal und Renner schwiegen einen Augenblick lang. Das kannst du nicht tun, sagte Achim dann. Na ja, sagte Josef und trank einen Schluck, ich will ja keine Bombe werfen. Sondern? fragte ich. Politik der kleinen Nadelstiche, sagte Josef. Was soll denn das heißen? fragte Pascal. Ihr werdet sehen, sagte Josef Jensen, während die Bedienung übermüdet den Raum betrat und sagte, es sei fünf Uhr und sie wolle nach Hause.
    Wir standen auf und torkelten hinaus. Fahren überhaupt

Weitere Kostenlose Bücher