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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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paar Wochen lang außergewöhnlich ruhig. Das gefiel mir gar nicht, ich hatte zu viel Zeit, über meine eigenen Angelegenheiten nachzudenken.
    Jonna Ritola kehrte Ende Februar in den Schutzhafen zurück.
    Sie hatte es geschafft, seit Weihnachten clean zu bleiben, aber Jack Halme, ihr Zuhälter und Dealer, ließ sie nicht in Ruhe. Er war in ihre Wohnung eingedrungen und hatte von ihr verlangt, die Drogenschulden in bar oder durch Sexdienste abzuzahlen.
    Zur Warnung hatte er dem Mädchen die Schamhaare versengt.
    Der Schutzhafen war der einzige Ort, an den Jonna sich zu flüchten wagte, denn Jack bedrohte auch ihre Familie.
    Jonna hatte die Schule ein Jahr vor dem Abitur abgebrochen, nachdem sie im Model-Wettbewerb einer Frauenzeitschrift den zweiten Platz belegt hatte. Als ich sie zum ersten Mal sah, hatte mich ihre strahlende Schönheit geradezu verwirrt. Sie hatte dichte blonde Haare, eine Superfigur und ein ebenmäßiges Gesicht. Als Fotomodell hatte sie nicht genug Aufträge bekommen, um davon leben zu können, daher hatte ihr eine Kollegin er-klärt, wie sie auf andere Weise Geld verdienen konnte. Mit Heroin war diese Tätigkeit leichter zu ertragen, aber dafür musste sie noch mehr anschaffen.
    Selbst Pauli war der Meinung, dass Jonna zur Polizei gehen sollte. Er fürchtete um unsere Sicherheit: Wenn Jack erfuhr, wo Jonna sich aufhielt, waren Mitarbeiter und Klientinnen des Schutzhafens in Gefahr. Endlich stimmte sie zu, und wir verein-barten einen Termin mit Ermittlern des Drogen- und des Gewaltdezernats. Wir gaben ihr den Rat, einen Rechtsbeistand mit-zunehmen, der würde ihr besser helfen können als die Therapeuten des Schutzhafens.
    In der Nacht vor Jonnas Vernehmung hatte ich Dienst. Es war ruhig im Haus. Außer Jonna war nur eine Mutter mit dreijährigen Zwillingstöchtern da, deshalb hatten Anneli und ich beschlossen, abwechselnd zu wachen. Anneli, die abends immer müde war, durfte als Erste schlafen und legte sich in eins der leer stehenden Zimmer. Um zwei sollte ich sie wecken. An einem normalen Donnerstag war nicht viel Betrieb zu erwarten, zumal alle Eishockeymannschaften der Hauptstadtregion ihre Spiele gewonnen hatten.
    Gegen halb eins klingelte das Telefon. Eine verängstigte junge Frau schluchzte, ihr Freund hätte sie geschlagen und sie hät-te Angst, in der gemeinsamen Wohnung zu bleiben. Auf meine Frage nach ihren Verletzungen antwortete sie, ihre Nase blute.
    Ich erkundigte mich, ob sie Geld für ein Taxi hätte, und sagte ihr, sie könne kommen. Ich sah nach, ob das hintere Zimmer in der oberen Etage in Ordnung war, und legte die Verbandstasche bereit. Wenn die Nase gebrochen war, würden wir zur Notaufnahme fahren müssen. Ich entschied mich, Anneli erst zu wecken, nachdem ich die Verletzungen unserer neuen Klientin gesehen hatte.
    Eine Viertelstunde später klingelte die Torglocke. Die Überwa-chungskamera zeigte ein blondes Mädchen, dessen stark geschminktes Gesicht tränenüberströmt war. Ich drückte den Tür-
    öffner und wunderte mich, dass auf dem Monitor kein Taxi zu sehen war. Die meisten Taxifahrer waren so umsichtig, zu warten, bis die Klientinnen durch das Tor gegangen waren. Ich ging in die Eingangshalle, um das Mädchen in Empfang zu nehmen.
    Da erspähte ich plötzlich durch das Fenster zum Hof eine ganz andere Gestalt als die, auf die ich wartete.
    Ein Mann kam auf dem mittleren Gartenweg auf das Haus zu, langsam und verstohlen wie eine Katze, die sich in ein fremdes Revier verirrt hat. Er trug enge Jeans und schwere Stiefel, die seine auffallend dünnen Oberschenkel betonten. Der lange schwarze Mantel reichte ihm fast bis zu den Knöcheln. Unter dem leger über die Schultern geworfenen Mantel war eine knappe schwarze Lederjacke zu sehen. Die dunklen Haare lagen eng am Kopf an, und als der Mann sich umdrehte, sah ich, dass er sie im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er sah aus wie einer, der hart gesotten erscheinen will.
    Als ich begriff, wer das war, hätte ich mich ohrfeigen können: Jack Halme war gekommen, um Jonna zu holen. Bei einer seiner Bewegungen öffnete sich der Mantel, und ich sah, dass er eine Waffe mit langem Lauf unter dem Arm trug. Schleunigst überprüfte ich die Sicherheitskette an der Vordertür. Was war mit der Hintertür – hoffentlich verriegelt? Und Anneli …
    Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als es schon an der Tür klingelte. Ich rannte nach oben und rüttelte Anneli wach.
    «Weck Jonna und ruf die

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