Lehtolainen, Leena
Polizei an! Jack Halme ist auf dem Hof!»
Anneli wachte nur langsam auf, sie murmelte wirres Zeug, bevor sie endlich die Augen aufschlug. Das Klingeln hörte nicht auf. Vom Fenster in Annelis Zimmer sah man die Haustür. Jack Halme hatte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Klingel gelehnt und drückte die Tasten an seinem Handy. Das Telefon in der Eingangshalle klingelte, ich rannte nach unten und nahm ab.
«Frauen …»
«Ich weiß, dass Jonna Ritola da drin ist. Schicken Sie sie raus, dann passiert Ihnen nichts. Sie haben zwei Minuten Zeit, dann schieße ich.»
Ich legte den Hörer auf und hob gleich wieder ab, um die Polizei anzurufen. Es war nur ein Rauschen zu hören. Jack hatte die Verbindung absichtlich nicht unterbrochen, er versuchte, Zeit zu gewinnen. Pauli hatte einen eigenen Anschluss. Sein Telefon war näher als mein Handy. Ich rannte in sein Zimmer, das zum Glück nicht verschlossen war. Die Deckenlampe wollte ich vorsichtshalber nicht anknipsen, also zog ich das Telefon und die Schreibtischlampe im Dunkeln auf den Fußboden. Ich kauerte mich neben den Papierkorb unter dem Schreibtisch und rief die Polizei an.
«Säde Vasara, Frauenhaus Schutzhafen. Auf unserem Hof ist ein Mann mit einer Maschinenpistole.»
Anneli und Jonna stürmten herein.
«Runter!», zischte ich, denn Paulis Zimmer lag zum Hof, und wenn Jack Halme nur einige Schritte nach Norden machte, hatte er Jonna genau im Visier. «Sie habe ich nicht gemeint», erklär-te ich dem Beamten, der nach einigen Rückfragen versicherte, er werde sämtliche verfügbaren Streifenwagen schicken.
Jonna hockte Schutz suchend vor Paulis Safe, Anneli zwängte sich neben mich unter den Schreibtisch. Sie hatte drei Kinder im Schulalter und glaubte fest an Gottes schützende Hand, auch noch, nachdem ihre Patentochter auf dem Schulweg von einem Betrunkenen überfahren wurde und starb. Sie hatte die Hände gefaltet, ihre Lippen bewegten sich im Gebet.
«Anneli, hol die Airaksinens aus dem Obergeschoss. Nehmt warme Kleidung mit und geht in den Kühlraum. Man kann ihn nicht von innen abschließen, also müsst ihr die Tür mit irgend-einem Brett verbarrikadieren. Da drin wird er euch nicht gleich suchen, und vor den Kugeln seid ihr durch mehrere Wände geschützt. Jonna, flach am Boden zum Kühlraum!», ordnete ich an, da klingelte das Telefon schon wieder. Ich wagte nicht, dranzu-gehen. Gleich darauf zerriss ein Schuss die Stille.
«Jonna, in den Kühlraum! Was für Drogen nimmt Jack?»
«Speed …», wimmerte Jonna. «Der is völlig schizo…»
«Die Polizei ist schon unterwegs», sagte ich so überzeugend wie möglich, während ich langsam über den Fußboden kroch und Paulis Telefon hinter mir herzog. Ich wollte es im Flur haben, außerhalb der Schusslinie. Es war meine einzige Verbindung zur Polizei. Beim Robben stieß ich mir den linken Knöchel am Safe, und da fiel mir ein, dass dort eine Waffe lag.
Als ich meine Stelle im Schutzhafen antrat, hatte Pauli mich in die Arbeit eingeführt und mir auch die Waffe, das Magazin und die Patronen gezeigt, die im obersten Fach des Safes aufbe-wahrt wurden. Er hatte mir beigebracht, wie man die Waffe lud und entsicherte, und ich hatte einen Waffenschein bekommen, aber ich hatte noch nie im Leben geschossen, wusste also nicht, ob ich es überhaupt konnte. Pauli hatte gesagt, dass die Waffe immer geladen war. Sie war nur für Notfälle gedacht, und dann musste alles schnell gehen.
Es konnte mehr als zehn Minuten dauern, bevor die Polizei eintraf. Bis dahin hatte Jack vielleicht längst das Schloss oder ein Fenster eingeschossen und war ins Haus gekommen. Ich konnte nicht mit den anderen in den Kühlraum gehen, denn irgendwer musste in der Eingangshalle warten, um den Polizisten das Tor zu öffnen. Ein Warnschuss würde Jack vielleicht eine Weile aufhalten. Aber sollte ich es wagen, im Zimmer zu bleiben und den Safe aufzuschließen, obwohl Jack durch das Fenster leicht auf mich schießen konnte? Wenn ich die Jalousien herunterließ, wusste er erst recht, wo ich mich aufhielt.
Ich musste es tun. Schließlich war es meine Schuld, dass Jack Halme auf dem Hof des Schutzhafens herumballerte. Ich war ihm auf den Leim gegangen und hatte ihn hereingelassen.
Die Zahlenkombination hatte ich mir auf dem Kalender in meinem Zimmer notiert. Es lag gegenüber von Paulis Zimmer, die Fenster gingen zur anderen Seite des Hauses. Konnte ich Jack täuschen, indem ich dort Licht machte?
Wieder krachte ein Schuss, diesmal
Weitere Kostenlose Bücher