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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Gedächtnis, was ich sonst noch über Heikki Jokinens Tod wusste. Es kam mir vor, als passte irgendetwas nicht zusammen. Oder führte die Polizei uns absichtlich in die Irre? Ich rief noch einmal bei Anja Jokinen an. Sie freute sich ganz offensichtlich, meine Stimme zu hören, und fing gleich an, über Kalles Verhaftung zu jammern.
    Ich erzählte ihr von meiner Aussage und fragte:
    «Sag mal, Anja, was wollten die Polizisten denn von dir wissen?»
    Anja setzte zu einem wortreichen Bericht an, aus dem hervor-ging, dass die Beamten sich vor allem für die Beziehung zwischen Heikki und Kalle interessiert hatten. Ich ließ ihr Zeit, sich alle Unruhe von der Seele zu reden, dabei schauderte mich, denn Anja schien Kalle für den Täter zu halten. Da sagte sie plötzlich etwas, was mein Interesse weckte:
    «Die Polizei wusste nicht gleich, dass Heikki Heikki ist, weil man bei ihm keine Papiere gefunden hatte. Nach der Brieftasche haben sie gefragt, und ich habe gesagt, dass Heikki immer eine Brieftasche bei sich hatte, und da drin war der Führerschein und manchmal auch die Monatskarte, die hat er vom Sozialamt gekriegt. Die Schlüssel hatte er immer im Mantel, in einer Brustta-sche mit Reißverschluss, damit er sie nicht verliert, wenn er blau ist. Aber die Polizei hat keine Brieftasche und keine Schlüssel gefunden.»
    Das war merkwürdig. Hatte jemand Heikkis Papiere geklaut?
    Kalle hatte von einem möglichen Raub gesprochen. Was war mit Heikki geschehen, nachdem ich gegangen war?

    Siebzehn
    Siebzehn

    Die Januardunkelheit verwob die Wochen zu einem Band, an dem sich Tag und Nacht nicht voneinander unterschieden. Ein paar Mal brachte Schnee ein wenig Helligkeit, wurde aber gleich wieder vom Regen vertrieben, und nachts flimmerten keine Sterne. Maisa flog nach Lanzarote, um Licht zu tanken, und ich rannte mitten in der Mitarbeiterbesprechung nach draußen, als die Sonne eines Nachmittags geruhte, sich kurz am Horizont zu zeigen.
    In der ständigen Dämmerung gelangte ich zu der Überzeugung, dass der Mensch nicht dafür geschaffen war, mehr als zehn Stunden täglich wach zu sein. Ich verschlief fast meine ganze Freizeit, Sulo mal zu meinen Füßen, mal als graues Kissen in meiner Armbeuge. Manchmal sah ich sein Auge oben auf dem Bücherregal glühen, wenn die winterstillen Meisen das Futterhäuschen auf dem Balkon anflogen.
    Von Zeit zu Zeit traf ich Kalle auf dem Hof. Er wurde weiterhin verhört, da bisher noch keine anderen Tatverdächtigen aufgetaucht waren. Er lud mich ins Kino ein, schlug neue finnische Filme vor, aber ich behauptete, kein Interesse zu haben. Offensichtlich glaubte er, ich zöge mich von ihm zurück, weil ich ihn für schuldig hielt. Ich wollte ihn nicht verletzen, aber ich konnte nicht anders, obwohl ich mich immer noch erschreckend stark zu ihm hingezogen fühlte. Wir waren nicht dazu geschaffen, einander Freude zu schenken.
    Zu Heikkis Beerdigung ging ich nicht, obwohl Anja mich eingeladen hatte. Ich tauschte absichtlich mit Anneli die Schicht, damit ich dienstliche Verpflichtungen vorschieben konnte. Trotzdem sah ich im Traum Heikki Jokinens Sarg in die Flammen des Krematoriums gleiten und wusste, auch ich würde eines Tages in diesen Flammen verbrennen. Jedes Mal, wenn ich ein Polizeiauto sah, musste ich gegen aufsteigende Panik ankämpfen. Da aber nichts geschah, ließ die Angst allmählich nach.
    Ich ließ mir Löcher in die Ohrläppchen stechen. Es würde noch Wochen dauern, bevor ich die dünnen goldenen Reifen herausnehmen und die Ohrringe mit den Hämmerchen anste-cken konnte, die Laila mir geschenkt hatte, aber das machte nichts, so gab es wenigstens etwas Schönes, worauf ich warten konnte. Nach dem Dreikönigstag erfuhr ich, dass Timo Takala aus dem Chor ausgeschieden war. Das Ermittlungsverfahren wegen der Drohanrufe war nicht vorangekommen, aber ich war gern bereit, die Angst vor Überführung und öffentlicher Schande noch eine Weile mit Takala zu teilen.
    Schokolade schmeckte mir nun allmählich wieder so wie frü-
    her. Unbekümmert aß ich einen Riegel nach dem andern. Gemeinsam mit Minna backte ich eine Sachertorte für die außerordentliche Sitzung der Stiftung, die Pauli seit dem Dreikönigstag mit zunehmender Nervosität erwartet hatte. Der Stiftungsvorstand hatte das gesamte Personal dazugebeten, daher fand die Sitzung im Speisesaal des Schutzhafens statt.
    Bisher hatte ich Pastorin Voutilainen, die die Sitzung einberufen hatte, erst einmal gesehen. Sie war eine kleine

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