Lehtolainen, Leena
Person mit ausladendem Busen, feuerrot gefärbter Bürstenfrisur, großen Ohrringen, kirschrot lackierten Nägeln und einem sinnlichen, heiseren Lachen. Sie sah eher nach Kunstlehrerin aus als nach Pastorin. Obendrein lebte sie in Sünde mit einem Mann, der erotische Gedichte schrieb.
Ich versuchte mich im Hintergrund zu halten und beschäftig-te mich damit, Kaffee zu kochen und Kuchen herumzureichen.
Pauli gab sich alle Mühe, eine klare Front aufzubauen und die Ideen der Stiftungsgründerin Anna Hautala, die auch die seinen waren, gegen die Auffassungen von Pastorin Voutilainen zu verteidigen. Er berief sich auf die Gründungsurkunde des Schutzhafens, der zufolge die Aufgabe des Frauenhauses darin bestand, die Familie zu bewahren, sodass der vor Gott geschlossene Bund nicht an Gewalt und Alkoholmissbrauch scheiterte.
«Eine Klientin aufzufordern, sich von ihrem Ehegatten zu trennen, verstößt gegen Anna Hautalas Grundsätze!», donnerte Pauli. Sein Gesicht hatte die gleiche Farbe wie das eines achtwöchigen Babys mit Blähungen.
«Die Gründungsurkunde der Stiftung verpflichtet unsere Klientinnen nicht, von einer Strafanzeige Abstand zu nehmen. Au-
ßerdem sind Anna Hautalas Formulierungen kein Gotteswort.
Die Generalversammlung der Stiftung hat das Recht, die Regeln zu ändern.» Die Pastorin bewegte ihren Kopf beim Sprechen so heftig hin und her, dass ihre Ohrringe klirrten. Pauli war ein er-klärter Gegner der Frauenordination, Voutilainen musste aus seiner Sicht geradezu eine Ausgeburt der Hölle sein.
Pauli erinnerte mich an meinen Bruder Tarmo, obwohl beide diesen Vergleich als Beleidigung aufgefasst hätten. Tarmo hielt alles, was mit Religion zu tun hatte, für totalen Quatsch und alle Geistlichen für Clowns, war aber, um es seinen Ehefrauen recht zu machen, nie aus der Kirche ausgetreten. Seiner Meinung nach war der Platz der Frau nicht nur zwischen Bett und Herd: Die Frauen sollten gefälligst auch arbeiten gehen, wenn sie so großen Wert auf Gleichberechtigung legten. Schließlich müssten sie ja genügend Geld für Liftings und Schönheitsope-rationen verdienen, ohne die Weiber über fünfunddreißig nun wirklich keine Augenweide mehr wären. Tarmo betete Mika Häkkinen ebenso inbrünstig an wie Pauli seinen Gott, und keiner von beiden ertrug die geringste Kritik.
An einem Wochenende war überraschend ein männlicher Klient im Schutzhafen aufgetaucht, ein junger, schlanker Bursche, der von seinem Freund misshandelt worden war. Anneli und ich waren überrascht, nahmen ihn aber auf, denn in den Satzungen stand nur, dass der Schutzhafen Opfern häuslicher Gewalt Zuflucht bietet. Vom Geschlecht des Opfers war nicht die Rede. Der Mann interessierte mich, denn ich hatte noch nie wissentlich mit einem Schwulen gesprochen. Als Pauli am Montag im Dienst erschien, schickte er ihn stillschweigend nach Hause. Zu uns sagte er, es sei problematisch, einen Mann in Räumen unterzubringen, die eigentlich für Frauen und Kinder vorgesehen seien. Ich hatte damals das Gefühl, dass Pauli fürchtete, die sexuelle Orientierung des jungen Mannes würde auf ihn übergreifen, wenn er sich auch nur einen Tag im gleichen Gebäude aufhielt.
Es war bestimmt leicht, Pauli zu sein. Da wusste man immer, was gut und was sündhaft war. Was würde er wohl sagen, wenn ich ihm erzählte, was ich getan hatte, und mit der Begründung kündigte, bei längerem Verbleib im Schutzhafen würde ich weitere Morde begehen? Würde er mich der Polizei ausliefern?
Nein, Pauli war nicht der Mensch, dem ich eines Tages die Wahrheit sagen würde. Irgendjemand musste sie erfahren, aber wer? Maisa? Laila aus dem Chor? Pastorin Voutilainen? Hauptkommissarin Kallio? Maisa stieß mich an und riss mich aus meinen Gedanken. Die anderen Sitzungsteilnehmer schauten zu mir hin und erwarteten offensichtlich, dass ich etwas sagte. Sanni Voutilainen sah mich aus ihren runden graugrünen Augen besonders erwartungsvoll an. Zum Glück flüsterte Maisa mir zu:
«Tiina Leiwo», es ging also um Tiinas Beschwerdebrief.
Ich fing schüchtern an, wie die alte Säde, die niemals mit einem Mann ins Kino oder zum Schnapstrinken in den Wald gegangen wäre. Dann erkannte ich meine Chance. Meine Stimme gewann Festigkeit und Tiefe, aus dem brüchigen Mezzosopran wurde ein selbstsicherer Alt. Die Frau, die jetzt zum Vorschein kam, hatte schon drei Männer abserviert.
«Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich von den Richtlinien abgewichen bin, als ich Tiina Leiwo empfahl,
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