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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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jetzt die Jahreszeit dafür. Die Weinflasche brachte ich nach Hause, aber den Schnaps nahm ich mit zur Arbeit, obwohl es mir komisch vorkam, eine Schnapsflasche mit mir herumzutragen.
    Auf meinem Schreibtisch lag eine beunruhigende Nachricht: Hauptkommissarin Kallio bat um Rückruf.
    Ich erledigte zuerst sämtliche Routinearbeiten, bevor ich mir ein Herz fasste und anrief. Zu meiner Erleichterung war Kallio in einer Sitzung. Trotzdem lauschte ich den ganzen Tag auf nä-
    her kommende Autos in der Erwartung, dass die Polizei mit einem Haftbefehl auftauchte.
    Im Schutzhafen wurde jeder Klientin eine hauptverantwort-liche Mitarbeiterin zugeordnet. Anja Jokinen war meine persönliche Klientin, daher verbrachte ich fast den ganzen Nachmittag mit ihr. Offiziell führten wir ein Therapiegespräch, aber in Wirk-lichkeit versuchte ich, möglichst viel über Heikkis Gewohnheiten herauszufinden. Ich fand das nicht hinterhältig, denn mein Ziel war ja, Anja zu helfen. Ich betrachtete ihre Hände mit den geschwollenen Gelenken – Heikki hatte das Geld für ihr Rheu-mamittel natürlich versoffen – und nahm mir vor, dafür zu sorgen, dass sie diese Hände nie mehr vor ihr Gesicht zu halten brauchte, um es vor Heikkis Schlägen zu schützen.
    «Säde, Telefon!», rief Anneli gegen fünf, als ich mit den Kindern einer Klientin spielte. «Irgendeine Kommissarin», flüsterte sie im Vorbeigehen, und das Herz sank mir blitzschnell in den Magen, wo es wie ein kalter, blubbernder Klumpen liegen blieb.
    «Hallo, hier Hauptkommissarin Maria Kallio.» Ihre Stimme klang freundlich, aber heiser, wie erkältet. «Ich dachte, du wüsstest sicher gern, wie das Urteil gegen Pentti Ahola ausgefallen ist.»
    «Ach ja, heute war ja Urteilsverkündung.» Erleichterung durchflutete mich, das Pulsieren wanderte vom Magen in die Schläfen. «Und?»
    «Mord, volle Zurechnungsfähigkeit. Lebenslänglich.»
    «Gut», sagte ich lahm, denn was hatte Irja Ahola noch davon?
    «Danke für die Nachricht.»

    «Du klingst aber nicht gerade begeistert», meinte Kallio und hustete. «Katri, ich meine Staatsanwältin Reponen, öffnet in Gedanken schon den Champagner. Ich bin so wahnsinnig er-kältet, dass ich nur die allerwichtigsten Dinge erledigen kann, aber wenn du Lust hast zu feiern, ruf Katri an. Sie meint, das Urteil wäre hauptsächlich deiner Aussage zu verdanken.»
    «Na ja, feiern … das käme mir irgendwie so vor, als ob wir auf Irjas Grab tanzten.»
    Aus dem Hörer drang ein gedämpftes Lachen, das einen Hustenanfall auslöste. «Trotzdem, vielen Dank für die Zusam-menarbeit», fuhr Kallio fort, als sie sich ausgehustet hatte. «Sorgen wir dafür, dass es keine weiteren ähnlichen Fälle gibt.»
    Ich legte auf und versuchte, Siegesfreude zu empfinden. Es gelang mir nicht, das Hin und Her zwischen Angst und Erleichterung hatte mich zu sehr mitgenommen. Die Gesellschaft hatte ihre Rache bekommen, aber selbst wenn man Pentti Ahola auf den elektrischen Stuhl setzte, hätte Irja nichts mehr davon.
    Trotzdem erzählte ich Anja von dem Urteil, aber das war ein Fehler. Sie fing wieder an, Kaarlos Schicksal zu beklagen, und weigerte sich, Heikki anzuzeigen, damit nicht auch noch ihr zweites Kind im Gefängnis landete. Als ich nach Hause kam, war ich so frustriert, dass ich meine ständige Müdigkeit als Segen empfand, weil sie mich mit der weichen Decke des Schlafs zudeckte.
    Am Mittwoch beschloss Pauli, Anja Jokinen rauszuwerfen. So offen drückte er sich natürlich nicht aus, er erklärte nur, Anja brauche das Frauenhaus nicht, weil sie eine eigene Wohnung habe, deren Schloss sie erneut auswechseln könne. In den nächsten Wochen mussten wir mit Hochbetrieb rechnen, denn in der Vorweihnachtszeit und an den Feiertagen kam es traditionell am häufigsten zu Gewalt in den Familien. Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, das galt nur für wenige.
    Dennoch durfte man die Menschen nicht vor familiärer Gewalt warnen. Das Ministerium für Soziales und Gesundheit hatte zwar eine präventive Informationskampagne gestartet, aber die Fernsehanstalten hatten die Spots auf Eis gelegt, weil sie zu rea-listisch waren. Man fürchtete wohl, die Zuschauer zu verstören, wenn man diese Infospots zur Hauptsendezeit vor den Action-serien ausstrahlte. Die gleichen Sender hatten allerdings keine Bedenken, die Prügeleien beim Eishockey in Zeitlupe zu zeigen.
    Ich glaubte nicht, dass Pauli Anja wirklich nur wegen Platz-mangel loswerden wollte. Seine

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