Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
Vom Netzwerk:
Lieblingsbeschäftigung war Eheberatung, dabei konnte er vom Pfad der Tugend abweichen-de Ehegatten väterlich ermahnen, den vor dem Herrn geschlossenen Bund der Ehe nicht zu brechen. Pauli zeigte Verständnis für den gestressten Ehemann wie für die unterdrückte Frau und brachte tatsächlich manche Paare zu der Einsicht, dass sie aus der Spirale der Gewalt ausbrechen mussten. Die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem erwachsenen Sohn hingegen interessierte ihn nicht, denn da hatte er keine Gelegenheit, der kraftlosen Frau mit seinem Standardsatz zu kommen: «Denken Sie doch an Ihre Kinder.» Pauli sah sich vermutlich als ange-grauter Cupido, der auseinander driftende Paare wieder zusam-menführte. Vielleicht war ihm klar geworden, dass Heikki Jokinen niemals bereuen und Mamatschi singen würde, selbst wenn Pauli sich auf den Kopf stellen würde.
    Es gelang mir, für Anja noch zwei Tage herauszuschinden, bis Freitag, aber nun drängte die Sache mit Heikki. Zur letzten Chorprobe der Herbstsaison ging ich nur, weil ich Timo Takala gegenübertreten wollte. Zu meiner Enttäuschung war er zu Beginn der Probe noch nicht da. Er kam erst, als wir mit dem Einsingen schon fast fertig waren. Seine übliche Selbstsicherheit war verschwunden, er entschuldigte sich sogar beim Chorleiter für sein Zuspätkommen, worüber Laila so erstaunt war, dass sie mich knuffte.
    Als der Chorleiter fragte, wer von uns am ersten Feiertag in der Kirche singen könnte, log ich, ich würde meine Eltern besuchen. Ich hatte beschlossen, ein einziges Mal den Heiligabend nach meinen eigenen Vorstellungen zu verleben. Ich würde nur die Weihnachtsgerichte essen, die ich mochte, und mir überhaupt kein Weihnachtsgedudel anhören. Ich hatte versprochen, in der Nacht vom ersten auf den zweiten Feiertag zu arbeiten, um einen Vorwand zu haben, nicht zu meinen Eltern zu fahren.
    Zum ersten Mal seit Jahren freute ich mich auf Weihnachten.
    In der Pause winkte mich der Chorleiter zu sich, um zu be-sprechen, welche Noten für die Frühjahrssaison angeschafft werden sollten, daher hatte ich keine Zeit, Takala zu beobachten. Ende Mai sollte der Chor in Schweden auftreten, in einer Schwestergemeinde in Uppsala. Ich mochte dem Chorleiter nicht sagen, dass ich dann nicht mehr dabei sein würde. Um Ostern herum würde ich gehen, ohne Vorwarnung, ich wollte möglichst wenig neugierige Fragen beantworten. Als ich die Liste mit den Noten für das Frühjahr aufschrieb, spürte ich keine Wehmut bei dem Gedanken, das zum letzten Mal zu tun.
    Ich war verlegen, als Laila mir nach der Probe ein kleines Päckchen in die Hand drückte, denn ich hatte nicht daran gedacht, etwas für sie zu besorgen.
    «Vergiss nicht, Urlaub zu machen und dich auszuruhen», sagte sie zum Abschied. «Und hör endlich auf abzunehmen. Erzähl mir nichts, ich seh doch, wie deine Hose schlottert!» Laila umarmte mich schnell, ich erwiderte die Umarmung ungeschickt und bemühte mich, nur ihre Wangen und Arme zu berühren.
    Auf dem Weg zur Bushaltestelle hielt plötzlich ein Auto neben mir.
    «Steig ein, Säde, ich fahre dich nach Hause.»
    Timo Takala guckte aus dem Seitenfenster seines dunkelgrauen Fords.
    «Nein danke, ich nehme den Bus.»
    «Nun komm schon, ich möchte mit dir reden.»
    Timo sprach hastig, er blickte sich um, offenbar fürchtete er, mit mir gesehen zu werden. Ich hatte keine Angst, sondern amüsierte mich und zog die Sache absichtlich in die Länge, bückte mich und zupfte das Hosenbein zurecht, das sich am Schuh verfangen hatte, klopfte mir den Schnee vom Mantel und öffnete die Tür möglichst langsam. Als ich endlich einstieg, schlugen Timos Finger ungeduldig Triolen auf dem Lenkrad.
    «Ich muss mich bei dir entschuldigen wegen Samstag. Das war nur ein Dummejungenstreich, wir waren ziemlich betrunken. Du hast doch nicht wirklich bei der Polizei angerufen?»
    «Doch. Mit dem Handy war es kinderleicht.»
    Timo beschleunigte und musste gleich darauf voll auf die Bremse treten, weil ein anfahrender Bus sich direkt vor ihn setzte.
    «Das war doch nur Spaß! Ich war ein bisschen beleidigt, weil du gesagt hast, ich hätte mein Solo zu hoch gesungen. Wir Künstler sind eben sensibel.»
    Ich verkniff mir die Bemerkung, gar nicht gewusst zu haben, dass Fluglotsen Künstler seien. Timo hielt an einer Ampel, seine Augen flogen zwischen meinem Gesicht und der Ampel hin und her.
    «Erzähl der Polizei doch einfach, dass es sich um einen kleinen Scherz unter Freunden gehandelt hat»,

Weitere Kostenlose Bücher