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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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meine Brüder jeden Winter im Wald ausgelegt hatten. Hinter jeder Frage konnte eine Schlinge verborgen sein, in die ich ah-nungslos hineintappte.
    Kallio stand auf, verschwand hinter der Stellwand, die den Raum teilte, und kam mit einem Stuhl zurück. Sie setzte sich falsch herum darauf, mit der Brust zur Rückenlehne, die Beine links und rechts vom Sitz gespreizt. Von nahem waren die Au-genfältchen deutlich zu sehen, ebenso die roten Äderchen in den Augäpfeln. Hatte sie ein paar Gläser über den Durst getrunken oder die ganze Nacht Jagd auf Heikki Jokinens Mörder gemacht?
    «Hattest du keine Angst, mit Kalle zu gehen, obwohl du wusstest, dass er jemanden umgebracht hatte?», fragte sie freundlich.
    «Nein. Ich habe keine Angst vor Kalle», sagte ich und versuchte zu lächeln. Jedenfalls nicht, weil er jemanden umgebracht hat, fügte ich in Gedanken hinzu.
    «Was haben Sie in Heikki Jokinens Wohnung gesehen?», fragte Koivu und warf Kallio einen Blick zu, als erwarte er ihre Zustimmung. Ich schilderte das Chaos in der Küche und den Zeitungsstapel im Flur. Koivu nickte.
    «Waren Sie die ganze Zeit zusammen in der Wohnung?»

    «Ja», fing ich an, als mir einfiel, dass mir übel geworden war und dass ich nach draußen gerannt war und die Eiszapfen betrachtet hatte. Kalle war ungefähr zehn Minuten später nachge-kommen. Das musste ich erzählen, ich wollte alle meine Karten aufdecken, bis auf das eine As, das ich im Ärmel hatte: den Mord.
    «Wenn ich es mir genau überlege, waren wir doch nicht die ganze Zeit zusammen. Der Geruch war so widerlich, dass ich unbedingt an die frische Luft musste. Kalle war ein paar Minuten allein in der Wohnung.»
    «Haben Sie irgendetwas aus Heikki Jokinens Wohnung mitgenommen?»
    «Nein! Fehlt denn etwas?», fragte ich zurück, obwohl ich wusste, dass die Polizei ihre Erkenntnisse für sich behielt. Tatsächlich gab mir Koivu keine Antwort, er wartete nur, bis Wang den letzten Satz eingegeben hatte.
    «Wie hoch schätzten Sie als Mitarbeiterin des Frauenhauses die Wahrscheinlichkeit ein, dass Heikki Jokinen seine Mutter eines Tages umbringen würde?»
    «Die Möglichkeit bestand durchaus.»
    Der Balanceakt auf der Wippe, mit der Mordanklage gegen Kalle am einen, gegen mich am anderen Ende, ging allmählich über meine Kräfte. Mein Mund war wie ein Pelargonientopf, den seit Wochen niemand mehr gegossen hat.
    «Warum seid ihr überhaupt in Heikki Jokinens Wohnung gegangen?», wollte Kallio wissen.
    «Kalle machte sich Sorgen, weil Heikki selbst an Weihnachten nichts von sich hören ließ und auch nicht ans Telefon ging.
    Als er dann in der Zeitung die Meldung über die Leiche in Eestinkallio gelesen hat, kam ihm der Verdacht, das könnte Heikki sein.»
    «Ganz recht», sagte Kallio. Wieder tauschte sie mit Koivu einen Blick, auf den ich mir keinen Reim machen konnte. Ich wartete die ganze Zeit auf die Frage, wo ich am Abend des neunten Dezember gewesen sei und ob ich einen preiselbeer-roten Mantel besitze. Stattdessen stand Koivu auf und gab mir die Hand:
    «Das ist dann wohl alles. Würden Sie noch einen Moment warten, bis Kriminalmeister Wang das Vernehmungsprotokoll ausgedruckt hat? Dann können Sie es gleich unterschreiben.»
    Ich nickte. Koivu war schon auf dem Weg zur Tür, als er sich an seine Kolleginnen wandte: «Ich geh jetzt essen, außer dem trockenen Brötchen heute früh hab ich noch nichts im Magen.
    Kommt ihr nach?»
    «Wenn ich hier fertig bin», antwortete Wang, Kallio dagegen schüttelte den Kopf. Auch sie stand auf und gab mir die Hand, und ich war erleichtert, als sie das Zimmer verließ. Ich las Wangs Protokoll durch und wurde rot, denn jedes Stottern und Stammeln war schwarz auf weiß festgehalten. Ich unterschrieb in meiner deutlichen, runden Handschrift, die Maisa kindlich fand.
    Als ich auf den Gang kam, hörte ich auf einmal Kallios Stimme:
    «He, Säde, warte mal!»
    Ich konnte nicht umhin, stehen zu bleiben und mich zu der Tür umzudrehen, aus der die Hauptkommissarin ihren Wu-schelkopf herausstreckte.
    «Soll ich dich mitnehmen? Ich fahre jetzt nach Hause.»
    «In dem Fall gern, vielen Dank», antwortete ich, denn auf die Schnelle fiel mir keine Notlüge ein.
    Kallio öffnete ihren Garderobenschrank und schlenkerte die Pumps von den Füßen. Dann zog sie schwere Schnürstiefel an und schlüpfte in eine lederne Motorradjacke, in der ich lächerlich ausgesehen hätte. Zu ihr passte sie. Schweigend folgte ich ihr die Treppe hinunter. Als sich die Tür

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