Lehtolainen, Leena
hinter mir schloss, atmete ich auf. Diesmal hatte ich das Gebäude noch verlassen dürfen.
Auf dem Parkplatz stand ein eleganter dunkelblauer Wagen.
Kallio öffnete die Zentralverriegelung. Ich wusste nicht, ob ich mich nach vorn oder hinten setzen sollte. Schließlich setzte ich mich nach vorn, immerhin war das ein Polizeifahrzeug und kein Taxi, auch wenn es nicht das Emblem der Polizei trug. Die kom-pliziert aussehenden Funkgeräte und der Einsatzkoffer auf dem Rücksitz verrieten, dass es sich nicht um ein Zivilfahrzeug handelte.
Sie drehte das Autoradio voll auf, schwedischsprachige Punk-musik dröhnte mir in den Ohren. Ich musste beinahe lachen. In diesem Polizeiauto saßen eine Hauptkommissarin in Lederjacke, die Punk hörte, und eine harmlos wirkende Frau im hellblauen Strickkleid, die eine dreifache Mörderin war – niemand hätte uns für das gehalten, was wir waren.
«Stört dich die Musik? Nach einem harten Arbeitstag brauche ich so was zum Abschalten.»
«Nein, sie stört überhaupt nicht», log ich. Es war besser, ihr mein altes, braves Ich zu präsentieren. «Die Musik kenne ich gar nicht. Wer ist das?»
«Ebba Grön. Eine schwedische Punkband, vor zwanzig Jahren.» Sie sang den Refrain des gerade laufenden Songs mit:
«Mina tankar är vapen som slåss, mina tankar är vapen för oss, mina tankar är den sista som ni tar.»*
«Du wohnst irgendwo an der Finnoontie, nicht wahr?», fragte Kallio, als sie an der Ampel auf die Nihtisillantie abbog. Woher wusste sie das? Die Angst machte sich wieder bemerkbar, bis mir einfiel, dass sie sich natürlich an Kalles Adresse erinnerte.
«Hier ist Pasi Leiwo gegen den Brückenpfeiler geknallt.» Sie scherte abrupt aus und fuhr die Rampe zur Autobahn hinunter.
«Der Hauptwachtmeister, der die Verfolgung geleitet hat, war nach dem Unfall mehrere Wochen krankgeschrieben. Er fühlte sich schuldig am Tod des verfolgten Fahrers.»
* Meine Gedanken sind Waffen, die schlagen, meine Gedanken sind Waffen für uns, meine Gedanken sind das Letzte, das ihr mir wegnehmt.
«Aber die Polizei hatte doch keine Schuld daran!», rief ich und steckte meine plötzlich kalt gewordenen Hände unter den Mantel.
«Sicher, Pasi Leiwo hat selbst am Steuer gesessen, aber der Unfall hätte nicht sein müssen. Die Frau, die damals den betrunkenen Fahrer gemeldet hat, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Vermutlich hat sie unter falschem Namen angerufen, weil sie Angst hatte, mit Leiwo Ärger zu bekommen. Was mag sie wohl empfunden haben, als sie von dem Unfall hörte?» Kallio zog an einem Lieferwagen vorbei, der mit achtzig dahin-schlich. «Natürlich hat sie nur ihre Pflicht getan. Leiwo war betrunken und hätte womöglich jemanden überfahren.»
Bei der Erinnerung an den verformten, schrottreifen BMW, den ich vom Taxi aus gesehen hatte, wurde mir übel. Was hatte Pasi empfunden, als der Wagen ihm nicht mehr gehorchte und auf die Betonwand zuraste? Hatte er noch Zeit, irgendwas zu begreifen?
Kallio fuhr ein bisschen schneller als die erlaubten hundert Kilometer, wir kamen zügig voran. Auf das Punklied folgte eine leichtere Melodie mit wiegendem Rhythmus, Kallio sang leise mit. Sie hatte eine dunkle und kräftige, aber ungeschulte Stimme.
«Kalle Jokinen macht einen sehr angenehmen Eindruck.
Schwer zu glauben, dass er wegen Totschlag gesessen hat, er ist ganz anders als die Gewaltverbrecher, mit denen ich sonst zu tun habe. Wie hast du ihn denn kennen gelernt?»
«Sulo, das ist meine Katze, war verschwunden, und ich habe sie überall gesucht und im Treppenhaus Zettel aufgehängt und …»
«Ich hab auch eine Katze. Ich würde mir wahnsinnige Sorgen machen, wenn sie länger als eine Nacht wegbliebe. Was für eine Katze hast du?» Kallio drehte die Musik leiser.
«Eine ganz normale, grau getigerte Hauskatze, allerdings hat sie seit ihrer Geburt nur ein Auge. Und du?»
«Meine ist ein riesiger weißer Kater mit schwarzem Schwanz.
Er heißt Einstein und hat ursprünglich meinem Mann gehört.
Der ist Mathematiker, daher der Name Einstein – außerdem hat er den Namen auch deswegen bekommen, weil er für eine Katze ziemlich dumm ist. Er kriegt die Türen nicht auf und kann auch sonst keine Tricks. Hat Kalle Jokinen deine Katze gefunden?»
«Ja.» Ich erzählte, wie Kalle mit Sulo auf dem Arm vor der Tür gestanden hatte, erzählte von meiner Freude und Verblüffung, und sie hörte mir lächelnd zu. Einen Augenblick lang waren wir als Katzenfreundinnen schwesterlich
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