Lehtolainen, Leena
wenn man sich nur an einen bestimmten Ablauf hielt: Abendessen, Zähneputzen, Schlaflied und Gutenachtkuss. Als er mit elf plötzlich keinen Gutenachtkuss mehr wollte, war mir wehmütig ums Herz. Mit zwei war Kaitsu fast noch ein Baby, er konnte zwar schon laufen, sprach aber nur Zweiwortsätze.
Die Kinder und ich schliefen in Saras Bodenkammer. Sara hatte, wenn auch unter Protest, den Kindern ihr Bett abgetreten, sie und ich schliefen auf dem Fußboden. Ich rückte die Stühle ans Bett, damit Kaitsu nicht herausfiel. Dann drehte ich mir die Haare auf und ging hinunter. Mutter kochte Kaffee und stellte die frischgebackenen Hefeteilchen auf den Tisch. Obwohl sie bereits seit einigen Jahren einen Elektroherd hatte, benutzte sie noch immer den alten Backofen. Ich rührte Kuchenteig an. Am Morgen wollte ich früh aufstehen und die Muttertagstorte dekorieren. Es kam mir plötzlich seltsam vor, dass gerade ich eine Torte für Mutter backte, wo ich doch selbst Mutter war, während Sara und die Jungen keinen Finger rührten. Aber als Älteste war ich es gewöhnt, die Hausarbeit zu übernehmen.
Wir tranken in aller Ruhe Kaffee, Katja aß drei Hefeteilchen.
»Wie gut, dass es dem Kind schmeckt«, sagte Mutter. Ich verschwieg ihr, dass man mir in der Familienberatung nahegelegt hatte, auf ihr Gewicht zu achten. Ich fand es schlimm, so etwas über eine Fünfjährige zu hören. Katja hatte ganz normalen Babyspeck und war außerdem groß für ihr Alter. Auch Eero war groß und breitschultrig gewesen. Sara plapperte pausenlos über ihre Mitschüler und ihre Zukunftspläne. Schon damals konnte ich kaum glauben, dass sie nur sieben Jahre jünger war als ich.
Sie schien einer ganz anderen Generation anzugehören.
»Du siehst viel älter aus als vierundzwanzig«, meinte Sara mit einem abschätzigen Blick auf meine Lockenwickler. Sie selbst hatte sich eine modische Außenrolle geföhnt und sah ohne ihren blauen Lidschatten noch hübscher aus. Mutter goss ihr Kaffee ein und hörte sich freudestrahlend ihre Geschichten an. Sara verstand sich darauf, Lehrer und Klassenkameraden nachzuah-men. Das hatte sie von Vater geerbt, der als junger Mann sogar auf einer Laienbühne gestanden hatte. Allerdings hatte er bereits bei der zweiten Vorstellung seinen Auftritt geschmissen, weil er betrunken war.
Als ich Veikko und Rane aus der Sauna kommen sah, brachte ich Katja ins Bett. Sie sträubte sich zuerst, doch auch sie war müde von der Fahrt. Ich hörte den Wortwechsel meiner Brüder bis in den ersten Stock. Es schien Rane gewaltig zu wurmen, dass Veikko in der Armee keine Probleme hatte, im Gegenteil, man hatte ihm sogar nahegelegt, sich zur Unteroffiziersausbil-dung zu melden. Rane war neidisch. Schon bei Veikkos Abiturfeier hatte er sich sinnlos betrunken und verächtlich über Stubengelehrte hergezogen.
Katja zum Einschlafen zu bringen war noch nie leicht gewesen. Ich las ihr mehr als eine halbe Stunde lang vor und schlief darüber beinahe selbst ein, während sie immer noch putzmunter war. Mit dem Versprechen, sie dürfe mir am Morgen mit der Torte helfen und die Sahneschüssel auslecken, brachte ich sie endlich dazu, die Augen zu schließen. Bald darauf war sie eingeschlafen.
Ich hatte den Tortenboden zum Abkühlen auf den Herd gestellt. Er war luftig und hoch gewesen, doch nun war er ein, zwei Zentimeter flacher, denn Vater war durch die Küche getorkelt und hatte sich mit seinem vollen Gewicht darauf abgestützt. Veikko war nicht halb so betrunken wie die beiden anderen Männer. Er bot mir einen Schnaps zum Kaffee an, aber ich lehnte ab. Ich mochte keine harten Sachen. Eero hatte mich einmal in eine Bar ausgeführt und exotisch duftende Drinks bestellt, Sunrise und Blauer Engel. Die hatten mir auch nicht geschmeckt.
Als sich Mutter gegen zehn ins Schlafzimmer zurückzog, stand auch ich auf und ging nach oben. Am nächsten Morgen würde ich um sechs aufstehen müssen, um rechtzeitig mit allem fertig zu werden. Ich lauschte auf die Stimmen im Erdgeschoss und dachte zufrieden an meine eigene Wohnung, wo ich mir nicht das Gebrüll von Betrunkenen anzuhören brauchte. Meine Nachbarn waren anständige Leute. Über diesem Gedanken schlief ich ein. Ich träumte vom Sommer, sah mich in dem See schwimmen, der zwei Kilometer von meinem Elternhaus entfernt lag. Vater stand am Ufer und winkte. Plötzlich schien er irgendwie in Not geraten zu sein und rief mit merkwürdig grölender Stimme nach mir.
Von diesem Schrei wurde ich wach. Die Kinder
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