Lehtolainen, Leena
schliefen, aber Sara lag nicht auf ihrer Matratze. Das seltsame Grölen hörte nicht auf. Ich lief die Treppe hinunter. In der Stube stürzte mir Sara entgegen, vom Saum ihres Nachthemdes tropfte Blut. Es war nicht Vater, der in der Küche Lärm machte, sondern Rane.
Vater lag zwischen Blut und Knochensplittern mit zertrümmer-tem Schädel auf dem Küchenboden. Rane stammelte immer wieder:
»Ich war’s nicht, ich war’s nicht.« Seine Hände waren voller Blut.
Ich habe den Hammer nicht angefasst und auch nicht gesehen, dass einer der anderen ihn berührt hätte. Wer die Fingerabdrü-
cke abgewischt hat, weiß ich nicht.
So habe ich es immer erzählt, und so werde ich es wieder erzählen, falls mich noch einmal jemand danach fragt. Es ist schon mehr als zehn Jahre her, dass Katja zum letzten Mal Fragen gestellt hat. Sie war damals noch ein halbwüchsiges Mädchen, deshalb wollte ich mit ihr nicht darüber sprechen. Ich lese gern in Büchern, wie Menschen mit ihren Fehlern und ihrer Trauer umgehen, aber über meine eigenen Probleme will ich nicht nachdenken.
Rane wurde wegen Totschlag zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte bereits einige kleinere Delikte auf seinem Konto, war aber immer mit einer Geldbuße davongekommen.
Da er sich oft mit zwielichtigen Typen abgegeben hatte, glaubte ich, er würde auch im Gefängnis zurechtkommen.
Ich hatte Kinder, die ich schützen musste. Rane war erwachsen und für sein Leben selbst verantwortlich. Ein stärkerer Mann hätte das Urteil verkraftet, aber unser Rane war nicht stark. Er war so schwach wie Vater, und deshalb erging es ihm ebenso schlecht. Als Kaitsus Firma Pleite machte, dachte ich, nun wird sich zeigen, was in dem Jungen steckt. Zum Glück hat Kaitsu sofort bewiesen, dass er von anderem Kaliber ist als sein Großvater, sein Onkel und sein Vater, er hat die Zähne zusam-mengebissen und sich eine neue Stelle gesucht. Er ist mein Sohn.
Ich hatte knapp drei Jahre allein gelebt, als Kaitsu wieder bei mir einzog, gerade als die langersehnte Unabhängigkeit Alltag wurde und ich mir überlegte, wie ich es anstellen sollte, jemanden zu finden, mit dem ich mein Leben teilen könnte. Ich war noch keine fünfzig, und weder von Katja noch von Kaitsu war zu erwarten, dass sie mich bald zur Großmutter machen würden.
Im Gegenteil, beide hatten gesagt, sie wollten keine Kinder. In dieser Hinsicht machte ich mir Sorgen um Kaitsu: Hatte er überhaupt keine Freundinnen? Für einen jungen Mann ist es ungesund, enthaltsam zu leben. Nachdem er wieder bei mir eingezogen war, hat er nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht. Seine Freunde waren auch nie hier, sie treffen sich immer in Cafés und Kneipen.
Kaitsu fällt mir kaum zur Last. Wenn ich von der Arbeit komme, ist er gerade am Gehen. Er fährt gern Nachtschicht, und an den gleichen Rhythmus schien er sich auch zu halten, als er noch bei dieser Computer- und Telefonfirma gearbeitet hat.
Überhaupt ist er immer mit wenig Schlaf ausgekommen. So wie ich in jüngeren Jahren. Damals hatte ich allerdings auch keine andere Wahl; wenn ich Zeit für mich selbst haben wollte, musste ich sie vom Nachtschlaf abknapsen.
Bei der Arbeit habe ich ständig mit anderen Menschen zu tun, daher bin ich abends am liebsten allein, lese oder sehe fern.
Nach einigen Serien bin ich geradezu süchtig, nach »Emergency Room« zum Beispiel und vor allem nach »Verheimlichtes Leben«. Besonders hingezogen fühle ich mich zu Ismo Laitela, dem alleinstehenden Vater in der Serie. Der Schauspieler sieht wirklich gut aus. Für mein eigenes Leben wünsche ich mir keine dramatischen Wendungen mehr, aber in Ismos Schicksal kann ich mich einfühlen.
Sara drängte mich, das Buch zu lesen, in dem es heißt, es sei nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. Sie behauptete, ihr hätte es geholfen, obwohl ich keine Veränderung an ihr festgestellt habe. Sie ist derselbe Wirrkopf wie immer. Jedes Mal, wenn das Telefon zu einer ungewöhnlichen Tageszeit klingelt, weiß ich, dass Sara anruft. Um meine Kinder mache ich mir längst nicht so viel Sorgen wie um meine Schwester, obwohl ja auch Katja es schwer gehabt hat. Wie schwer, will ich gar nicht wissen.
Ich las das Buch und dachte, die Leute können reden und schreiben, was sie wollen, für mich ist es auf jeden Fall zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. Niemand kann sie wegzau-bern, die Nächte voller Angst, die Hungertage, den Moment, wenn Vater zuschlug. Manchmal empfand ich es fast als
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