Lehtolainen, Leena
Menschen anzupassen.
Ich versuchte, wieder nach Irland zurückzukehren, doch Katjas Stimme klirrte noch immer wie Eiswürfel in meinen Ohren. Sie hatte mir nie die Schuld an ihrer Bulimie gegeben. Ich selbst hatte mir allerdings Vorwürfe gemacht, und von Sara, die irgendwann einmal ähnliche Symptome hatte, hatte ich mir auch einiges anhören müssen. Katja dagegen hatte mir versichert, sie sei wieder gesund. Wahrscheinlich lag es daran, dass dieser Karri sie verlassen hatte, oder was weiß ich. Ich kenne meine Tochter nicht so gut.
Es widerstrebte mir, den Gedanken zu Ende zu denken, doch es war nun einmal die Wahrheit: Ich wollte meine Tochter gar nicht kennen. So war es leichter für mich. Es war schön zu hören …
SIEBEN
Katja
… dass es mir gutgeht, aber von unangenehmen Dingen hat Mutter nie etwas wissen wollen. Dabei hat sie sich selbst immer bei mir über Sara und Kaitsu und ihre Kollegen beklagt.
Nach dem Gespräch mit meinem Prof hatte ich zuerst gejubelt.
Dann aber packte mich die Angst. Unterrichten – das kann ich doch nicht! Ich habe keinerlei Erfahrung. Unterrichten bedeutet öffentlich auftreten und andere anleiten. Zwar weiß ich über die finnische Rockmusik der 1980er Jahre fast alles, doch Wissen an andere weiterzugeben ist etwas ganz anderes.
Auch aus Mutters Stimme hatte ich Zweifel herausgehört.
Zehn Vorlesungen und dazu die schriftlichen Übungen, das war eine Menge Arbeit. Der Kurs sollte Mitte Oktober beginnen, also blieb mir nicht einmal ein Monat für die Vorbereitungen.
Zudem hatte ich meiner Gesangslehrerin versprochen, in diesem Jahr endlich das Programm für die Gesangsprüfung einzustudie-ren, die ich vorweisen musste, um meinen Studienplatz an der Musikschule nicht zu verlieren. Ich war ohnehin allmählich zu alt für Gesangsstunden.
Prompt stieg die alte Panik wieder hoch. Ich ging an den Kühlschrank. Da ich in letzter Zeit versucht hatte, gesund zu leben, enthielt er nur Magerkäse, Joghurt und Tomaten. Im Küchenschrank stand ein Paket Kakaopulver, aus dem ich eine reichliche Portion in eine Tasse löffelte. Ich gab Zucker und so viel Wasser dazu, dass eine dicke Paste entstand, und aß sie gleich im Stehen. Es war erst halb sieben. Wenn ich mir jetzt einen Drink genehmigte, würde ich nichts Vernünftiges mehr zustande bringen, doch ich musste noch für den nächsten Tag zwei Plattenkritiken überarbeiten. Nachdem ich die Schokola-denpaste vertilgt hatte, schaltete ich den Computer ein und las die Besprechungen, die ich am Tag zuvor geschrieben hatte.
Wie ich befürchtet hatte, waren sie mittelmäßig und nichtssagend. Das waren die Platten allerdings auch, sowohl das neueste Album einer ehemaligen Tangokönigin als auch das Debüt eines Hiphoppers aus Tampere. Beides war nicht meine Musik, doch das durfte ich mir in meinen Kritiken nicht anmerken lassen.
Über ausländische Platten wagte ich gelegentlich boshafte Bemerkungen, aber bei finnischen hielt ich mich zurück. Ich war eine miserable Kritikerin und feige obendrein.
Ich legte die Tangoplatte auf und hörte sie mir noch einmal an.
Diesmal fand ich sie noch schlimmer. Das war nicht einmal Musik, das war ein Geräuschband, das widerstandslos zu einem Ohr hinein- und zum anderen wieder herausglitt. Die Stimme war in Ordnung, die Phrasierung sauber, die Arrangements professionell gemacht, das Ganze widerte mich an. Ich legte stattdessen die Ramones auf. Bei »Blitzkrieg Bop« musste ich lächeln, wie immer.
Die finnische Rockmusik der achtziger Jahre … In meiner Vorlesungsreihe würde ich mich auf keinen Fall nur mit den Bands befassen können, über die ich meine Magisterarbeit schrieb, Salamasota, Luonteri Surf und so weiter. Für Neumann und seine Band Dingo musste ich eine ganze Vorlesung reservieren. »Neumanns wichtigste Errungenschaft bestand darin, die Molltonarten in der finnischen Rockmusik salonfähig zu machen
…« Ich hörte mich schon im Seminarraum zwei sprechen. Das brachte mich zum Lachen.
Ich sah die Rezensionen nur auf Tippfehler durch und schickte sie per E-Mail an die Redaktion der kleinsten Zeitung unter meinen Auftraggebern. Dann legte ich einen neuen Ordner an und entwarf eine Gliederung für mein Seminar. Nachdem ich eine Weile gearbeitet hatte, packte mich die Begeisterung. Ich würde tatsächlich etwas Gutes zustande bringen. Ich musste versuchen, Instrumente aufzutreiben, Schlagzeug, Gitarre, Bass und Synthesizer, damit wir die Tonfolgen und Arrangements gründlich
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