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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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Etwas anderes kann ich nicht erzählen.
    Ich mag völlige Freiheit oder strenge Disziplin, nichts dazwischen. Bei der Armee war das Leben streng geregelt, ordentlich und völlig absurd. Ich fühlte mich wie eine Person aus den Romanen von Pentti Haanpää und entfremdete mich von dem ganzen Klimbim. Mein Militärdienst liegt fünfundzwanzig Jahre zurück, vielleicht ist die Zeit gekommen, darüber zu schreiben.

    Auch im Gefängnis hätte ich mich besser gehalten als Rane.
    Killer bilden dort eine höhere Kaste, es wäre mir leichtgefallen, mir eine Position zu erobern. Vielleicht hätte ich anstelle meines Bruders hingehen sollen.
    Ich stakse quer über den Acker zum Haus zurück und lese eine Weile. Morgen werde ich fischen gehen. Mein Ruderboot aus massivem Holz ist neben dem Computer mein teuerster Besitz, aber es lohnt sich, für gute Qualität Geld auszugeben. Auf meine Bitte hat Lundberg noch Dollen nach Savoer Art angebracht, allerdings mit der Bemerkung, für hohen Seegang seien sie nicht optimal. Aber wer sagt denn, dass ich bei Sturm ausfahre?
    In der morgendlichen Dunkelheit sind nur ich und ein Elchbul-le unterwegs. Der Klügere gibt nach: Der Elch trabt vom Ackerrand in den Wald. Bald wird die Hatz auf ihn beginnen, und ich muss meine rote Mütze hervorkramen, so albern sie auf dem Kopf eines erwachsenen Mannes auch aussieht. Aber lieber albern als tot. Ein paarmal bin ich mit den Nachbarn schon zur Jagd gegangen, oft genug, um ein paar Kilo Fleisch für die Tiefkühltruhe zu bekommen.
    Es ist ein schlagender Beweis für meine Mittelmäßigkeit, dass ich nach Mutters Tod angefangen habe, über meine Kindheit nachzudenken, und über die Zeit, als Vater starb. Irgendwie verrückt. Ich beobachte mich wie einen Fremden und sehe einen trauernden Mann.
    In Anbetracht der Verhältnisse war Mutter eine gute Mutter.
    Bestimmt ist sie nicht gern arbeiten gegangen und hat uns Kinder zu Hause gelassen. Vater war zeitweise nüchtern, und wenn er wieder zu einer Sauftour aufbrach, holte Mutter eine alte Frau aus der Nachbarschaft, die sich um uns kümmerte. Ich kann mich nicht erinnern, mich einsam gefühlt oder geängstigt zu haben. Wenn Vater nicht da war, war es zu Hause sicher.
    Zärtliches Getue war bei uns nicht üblich, aber ich wusste, dass meine Mutter mich liebte.

    Es gab Dinge an Mutter und Vater, die ich hasste, zum Beispiel ihre Art zu sprechen. Der Dialekt von Nordsavo ist hässlich. Einige Wörter dieser Mundart verursachen mir Übelkeit und rauben mir den Atem, wie bei einem Allergiean-fall. Ich leide unter Wortallergie. Ich bin nicht in der Lage, Zeitungen zu lesen, in denen Modewörter verwendet werden, und einige potenzielle Bettgenossinnen habe ich nur deshalb verschmäht, weil sie von »emotionaler Intelligenz« sprachen oder sagten, sie hätten »ihr inneres Kind« aus den Augen verloren.
    Es ist sonnig, windstill und eiskalt. Der Horizont flimmert, die Schiffe scheinen am Himmel zu schwimmen, und die Inseln sehen aus, als wäre jede von ihnen ein wiedererstandenes Atlantis. Ich fange Hechte und Lachse, mehr, als ich brauche; ein paar davon werde ich morgen für die Verlagslektorin mitnehmen. Sie ist zwar eine Frau, aber ihr fehlt die Geschwät-zigkeit und aufgesetzte Freundlichkeit, die Frauen normalerweise an sich haben. Meist erträgt sie meinen Stil, pflaumt mich gelegentlich aber auch deswegen an, und sie flirtet nur ganz leicht mit mir, gerade genug, um mir zu bestätigen, dass ich ein Mann bin.
    Bei Sonnenuntergang komme ich nach Hause und zucke zusammen, als ich das Abbild des Himmels im Fenster sehe. Es flammt in orangen und violetten Spiegelungen, die prachtvoller sind als der Himmel selbst. Ich stehe lange davor, betrachte das Fenster und werfe immer wieder einen Blick zum Himmel.
    Dabei muss ich an die Pfütze denken, die sich am Tag nach Mutters Beerdigung vor meinem Elternhaus gebildet hatte.
    Paulus und Plato wollten alles von Angesicht zu Angesicht sehen. Für mich war das Abbild immer schon wertvoller als die Wahrheit selbst. Ein Abbild existiert genau in der Gestalt, wie ich es sehe, während die Wahrheit … Lieber sitze ich in der Höhle und betrachte Schatten, als ans Sonnenlicht zu treten, um zu sehen und mich sehen zu lassen.

    Clasus Katze hat den frischen Fisch von weitem gerochen. Ich hole einen Teller aus dem Haus und schneide einen Hechtkopf und ein Stück Fischschwanz für sie ab. Sie will nicht glauben, dass der Fisch tot ist, sondern bringt ihre Beute

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