Lehtolainen, Leena
brüllenden Zuschauer zu beobachten als das Geschehen auf dem Spielfeld. Am idiotischsten sind Autorennen aller Art. Ihre Faszination beruht auf der Erwartung, dass jemand ums Leben kommt. Ich habe Kaitsu gebeten, mich sofort anzurufen, wenn so etwas passiert, damit ich den Fernseher einschalten kann. Er hat es nicht getan.
Meine Lektorin war guter Laune und lud mich zum Mittagessen ein. Ich hatte Appetit auf Lammfleisch und Rotwein, von dem sie gleich eine ganze Flasche bestellte. Wenn man umsonst essen kann, muss man zugreifen. Die Abgabe des Manuskripts war so beklemmend, dass ich beschloss, in der Stadt zu bleiben und zu feiern. Ich nahm mir ein Zimmer im Hotel »Torni« und rief meinen Freund Ristola an. Wir waren gleichzeitig bei der Armee gewesen und gut miteinander ausgekommen. Später hatte er Geographie studiert. Wir setzten uns in den irischen Pub, der zum Hotel gehört, und betranken uns gründlich. Am nächsten Morgen hatte ich einen phänomenalen Kater, war aber immer noch besser dran als Ristola, der schon am frühen Morgen einer Horde Pickelgesichter die Lage der afrikanischen Staaten beizubringen hatte.
Um zwölf Uhr musste ich mein Zimmer räumen, doch einer Busfahrt fühlte ich mich noch nicht gewachsen. Auf dem Friedhof Hietaniemi, der ans Meer grenzte, fand ich den richtigen Platz, um mich von meinem Kater zu erholen. Während ich dort am Ufer saß, verwandelten sich meine Beklemmung und der langsam schwindende Katzenjammer allmählich in ein frei assoziierendes Spiel, in dem jeder Gedanke und jedes Thema leicht war wie eine Schwalbe. Ich schrieb mir die Einfälle auf, bis ich hungrig wurde. Dann ging ich zurück ins Stadtzentrum, aß Junkfood, trank ein Bier und fuhr nach Hause.
Es ist immer wieder eine Freude, aus Helsinki zurückzukommen. Ich mache mir zwar nicht viel aus Kirchen, doch der Kirchturm von Degerby ist eine gute Landmarke. Die offenen Felder, die die Straße säumen, sind mir vertraut. Beim Gehen brach mir der Schweiß aus, unter dem Rucksack wurde mein Rücken feuchter als gewöhnlich. Nach rund einem Kilometer kam Sven, der einige Häuser weiter wohnt, mit seinem Wagen vorbei und bot mir an, mich mitzunehmen. Gegen meine Gewohnheit stieg ich ein. Mit den Schwedischsprachigen in der Umgebung lässt es sich gut plaudern. Ich verstehe ihre Sprache gut genug, um zurechtzukommen, aber zu wenig, um mich von gewissen Worten irritieren zu lassen. Dieses Argument, mit dem ich meinen Umzug von Helsinki aufs Land, in eine schwedischsprachige Gegend, erklärt habe, hat niemand verstanden. Aber es genügt, dass ich selbst es verstehe. Der einzige Weg, Urlaub von der Sprache zu machen, ist eine Reise nach Portugal oder Bulgarien, wo ich kein Wort verstehe. Ich überlegte, wohin ich verreisen sollte, wenn ich Mutters Erbteil bekam. Vielleicht etwas weiter weg? Ich habe mir schon lange gewünscht, Löwen zu sehen – oder wenigstens Eisbären.
Vor der Tür lagen zwei Zeitungen, und das verteufelte Telefon klingelte, sobald ich das Haus betrat. Ich versuchte zu erkennen, ob das Klingeln sich nach Sara oder nach Sirkka anhörte, denn außer den beiden rief mich kaum jemand an. Doch statt einer meiner Schwestern meldete sich eine allem Anschein nach aufgeregte Frau, die sich als Kulturreferentin einer kleinen Gemeinde in Häme vorstellte, wo in einer Woche ein Literatur-seminar stattfinden sollte. Einer der eingeladenen Autoren –
weitaus berühmter als ich – hatte abgesagt. Ob ich bereit sei, für ihn einzuspringen? Neben dem üblichen Honorar würden natürlich auch die Fahrtkosten bezahlt.
Ich hasse öffentliche Auftritte. Deshalb sagte ich, nach Ein-bruch der Dunkelheit müsse ich vom Bahnhof in Siuntio mit dem Taxi nach Hause fahren. Die Kulturreferentin versprach, auch das Taxi zu bezahlen. Ich fragte, wer außer mir an dem Podiumsgespräch teilnehmen würde, und war über die Antwort nicht erfreut: ein arroganter junger Lyriker und eine permanent fröhliche Autorin, die Romane über zwischenmenschliche Beziehungen schrieb.
»Ihre Lektorin hat mir erzählt, dass im nächsten Herbst wieder ein hervorragendes Buch von Ihnen erscheint«, fügte die Kulturreferentin an. Da sagte ich zu, nicht wegen der Schmeichelei, sondern weil sie mich korrekt siezte, wozu in Finnland heutzutage kaum noch jemand in der Lage zu sein scheint.
Ich wusste aus Erfahrung, dass nach der Abgabe des Manuskripts eine Zeit kommen würde, in der ich niemanden sehen wollte. Deshalb bat ich Clasu, mich zum
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