Lehtolainen, Leena
Einkaufen nach Kirkkonummi zu fahren. Ich bot ihm die Summe, die die Fahrt mit dem Taxi kosten würde, doch er wollte nur das reine Benzingeld. In Kirkkonummi lud ich Buttermilch, Brot und Unmengen Trockenproviant in den Einkaufswagen. Das würde für eine Weile reichen.
Clasu sah mir verwundert zu und sagte dann mit ernstem Gesicht:
»Komm uns besuchen, wenn du Gesellschaft brauchst.«
Ich hielt mir die Möglichkeit eines gemeinsamen Saunaabends offen, traf aber keine feste Vereinbarung. Allein fühle ich mich wohl. Zu Hause stöpselte ich das Telefon aus, zog die Vorhänge zu und legte das Holz bereit, mit dem ich am nächsten Tag die Sauna heizen wollte. Der Mond war fast voll, er glotzte durch einen Spalt zwischen den Vorhängen. Also zog ich sie noch fester zu. Weil ich gerade Lust darauf hatte, kochte ich mir Haferbrei.
Die Leere hielt tagelang vor. Ich putzte das Haus und die Sauna, sammelte Pilze und pflückte Moosbeeren. Dabei versuchte ich, nicht an das zu denken, was mir die ganze Zeit durch den Kopf ging, zuerst Vaters Tod, dann Mutters Tod. In der Dorfbücherei lieh ich mir schlechte Bücher aus, brachte es aber nicht einmal fertig, mich über sie aufzuregen.
Nach Vaters Tod war ich zur Armee zurückgekehrt, wo ich keine Zeit für fruchtlose Grübeleien hatte. Nach dem, was ich erlebt hatte, erschien es mir teils lächerlich, teils wirklicher als zuvor, dass man mir das Töten beibrachte. Ranes Selbstmord überraschte mich nicht. Nach dem Wehrdienst versuchte ich, zu studieren und mein erstes Buch zu schreiben. Auch um ein paar Frauen habe ich mich damals bemüht.
Über all das hatte ich fast fünfundzwanzig Jahre nicht mehr nachgedacht. Ich hatte nur darüber geschrieben.
Am Tag vor der Podiumsdiskussion begann ich, mich auf die Begegnung mit unbekannten Menschen einzustellen. Vom Verlag hatte ich noch nichts gehört. Die Fahrt nach Häme führte durch herbstlich bunte Wälder, Rot und Grün in verschiedenen Schattierungen sprangen mich an. Zum Glück hatte ich die Ohrstöpsel mitgenommen; nachdem der Gehörsinn ausgeschal-tet war, sah ich umso schärfer. Ich betrachtete die Landschaft, doch gleichzeitig beobachtete ich mich selbst beim Betrachten der Landschaft: Der Schriftsteller bewundert das Herbstlaub und empfindet es natürlich intensiver als normale Sterbliche.
So geht es mir bei jeder Krise oder Katastrophe. Beim Untergang der »Estonia« und beim Einsturz des World Trade Center beobachtete ich mit offener Neugier meine Reaktionen. Die Rauchwolken, die am strahlend blauen Himmel über New York aufstiegen – waren sie nicht perfekt geformt? Wie viel langweiliger wäre der Anblick gewesen, wenn es an dem fraglichen Tag geregnet hätte! Welche Hymne wurde auf der »Estonia«
gespielt, als das Schiff sank? Hatten diejenigen, die sich mit Gewalt einen Platz im Rettungsboot erkämpft hatten, jemals das Gefühl, sie hätten anders handeln sollen? Erschienen die von den Türmen des WTC stürzenden Menschen den Terroristen im Traum? Ein Teil meines Ichs fluchte sogar darüber, dass die verdammten Terroristen nie erfahren würden, dass es nach dem Tod kein Paradies für islamische Glaubenskrieger gab, sondern nichts als Leere. Es verstörte mich, wie hilflos selbst die routinierten Nachrichtensprecher waren, wenn etwas Unvorher-gesehenes geschah. Sie verwendeten plötzlich Slangwörter, und in ihren Augen stand Furcht. Die Politiker spuckten Phrasen aus, weil ihnen die Worte ausgegangen waren.
Zu mehr waren die Pfarrer, Nachbarn und Verwandten auf Vaters und Ranes Beerdigung auch nicht fähig gewesen. Ich hatte sie entsetzt und belustigt zugleich beobachtet. Bei Mutters Begräbnis schwafelte der Pfarrer von einem arbeitsreichen Weg, von Kindern und Enkelkindern und hatte nicht den Mut, zu sagen, dass Mutters Leben die reine Hölle gewesen und unter höllischen Qualen zu Ende gegangen war.
Bei Mutters Beerdigung steckten mindestens sieben Brüder in mir, die mich die ganze Zeit in verschiedene Richtungen zogen.
Einer von ihnen trauerte wirklich, einer wollte so schnell wie möglich raus aus dem schwarzen Anzug und aus dem Trauer-haus, einer verhöhnte den, der nur mit Mühe die Tränen zurückhielt. Der ruhigste der Brüder las die Beileidstelegramme vor und unterhielt sich pflichtschuldig mit dem Pfarrer und den Nachbarn. War jeder der sieben Brüder in Aleksis Kivis Roman ein Teil der Persönlichkeit ihres Autors, oder verfiel ich in albernes Psychologisieren, das mit echtem Verstehen nichts
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