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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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vorsichtshalber noch einmal um. Einem Hund würde so etwas nie einfallen.
    Man behauptet nicht umsonst, dass Katzen an Frauen erinnern.
    Ich lasse den Drucker rattern und nehme mir vor, keinen Blick mehr auf den Text zu werfen. Die Scham kündigt sich bereits an, morgen wird sie mir auf der Schulter sitzen und mich verhöhnen wie Poes Rabe. Wieso bildest du dir ein, jemand könnte sich für deine Schattenbilder interessieren? Ich koche aus den restlichen Hechtköpfen und den Flossen eine Fischbrühe.
    Für das Kochen gilt dieselbe Regel wie für das Schreiben: Einen guten Grundgeschmack soll man nicht durch ein Übermaß an Gewürzen verderben.
    Mittendrin ruft Sara an und fragt aufgeregt, ob ich etwa nicht gewusst hätte, dass sie von unserem Vater sexuell missbraucht worden sei. Sie gibt alles Mögliche von sich, daran bin ich gewöhnt. Wir leben in zwei völlig verschiedenen Wirklichkei-ten, die sich nur gelegentlich überschneiden.
    Ich höre ihr einige Minuten zu. Dabei drängt es mich zu sagen, ich hätte es gewusst und sogar jahrelang zugeschaut, aber ich lasse es. Vater traue ich zwar jede Schlechtigkeit zu, doch nach ihm wären sicher Rane und ich an der Reihe, von Sara bezichtigt zu werden. Ich bin der Einzige, der sich noch wehren kann.
    Unter dem Vorwand, meine Suppe koche über, lege ich auf.
    Ich fühle mich modrig. Sara ist wie ein Sumpf. Nein, selbst ein Sumpf ist berechenbarer. Sara ist Treibsand. Ich habe oft über sie geschrieben, aber so verschlüsselt, dass niemand sie identifizieren konnte, ebenso wenig wie die anderen Vorbilder.
    Sexueller Missbrauch wäre noch ein weiterer Grund, weshalb wir Vater loswerden mussten. Die Wahrheit spielt keine Rolle.
    Jede Tat wird in dem Moment wahr, in dem Sara an sie glaubt.

    Wenn Zeugen benötigt werden, hebt sich eines von ihren Medusenhäuptern. Ich könnte ihre Geschichte solider machen, wenn ich wollte, sie mit meinen Sätzen untermauern, zu einem starken Turm ausbauen, von dem die Verteidiger ihre Pfeile abschießen.
    Wenn ich an Sara denke, fällt mir ein schlechter amerikanischer Film ein, den ich mir irrtümlich im Fernsehen angesehen habe, weil ein Kritiker, den ich bis dahin für vernünftig gehalten hatte, ihn lobte. Der Held war ein Tunichtgut, in Wahrheit aber ein mathematisches Genie. Er erhielt die Chance, einer Gefäng-nisstrafe zu entgehen, wenn er ernsthaft zu rechnen begann und sich einer Therapie unterzog. Der Junge wehrte sich zunächst; an dieser Stelle schien mir der Film noch erträglich. Doch schließlich fand der Therapeut die Zauberworte, die den psychologischen Knoten lösten, und bald hing der Junge, der sich geöffnet und zu sich selbst gefunden hatte, auch schon schluchzend am Hals des Therapeuten. Worauf ich meinen Schuh gegen den Fernseher schleuderte.
    Als der Drucker zu rattern aufhörte, betrachtete ich voller Abscheu den Papierstapel. Er hätte gereicht, um den Ofen eine ganze Weile zu heizen. Ich holte zwei alte Pappdeckel aus dem Schrank, legte den Stapel dazwischen und verstaute das Ganze im Rucksack. Nach kurzem Überlegen tippte ich noch das Titelblatt und legte es ebenfalls dazu. Veikko Liimatainen: Die Wasserlinie. Der Titel war vieldeutig und nicht im Geringsten verkaufsfördernd. Die Leute in der Marketingabteilung würden wieder einmal fluchen und sich einen besseren ausdenken.
    Ich aß Fischsuppe, trank zum Nachtisch einen Schnaps und legte mich ins Bett. Das Buch von Haanpää, in dem ich zu lesen versuchte, war eine schlechte Wahl für einen Abend, an dem ich ohnehin von Skrupeln geplagt wurde. Gegen diesen Autor war ich ein kleines Licht, und ich brachte es nicht einmal fertig, mich darüber zu freuen, dass irgendwann einmal jemand gute Literatur geschrieben hatte.

    Am nächsten Morgen hatte der erste Frost die Welt verändert.
    Die Stoppeln auf dem Weizenfeld waren über Nacht ergraut. Ich ging mit meiner Tasse an den Ackerrand und ließ den Kaffee in der Kälte dampfen. Der Fluss rauschte noch, bei dem leichten Frost würde er nicht so bald zufrieren. Die Bäume hatten eine neue Färbung angenommen.
    Als ich zur Bushaltestelle an der Landstraße wanderte, taute die Sonne den gefrorenen Matsch auf. Zwei Rehe sprangen auf den Weg und hetzten zurück in den Wald. Während der Busfahrt wünschte ich mir, ich hätte die Ohrstöpsel mitgenommen, denn aus dem Radio quollen gleichgültige Sportergebnisse. Fußball ist das Einzige, was mich halbwegs interessiert. Allerdings finde ich es spannender, die

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