Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)
Periode von 2π entspricht einem Planetenjahr der Dauer T. Danach kehren die beobachteten Konfigurationen zurück. Um die Zeit t zu bestimmen, müssen also auch hier Perioden mitgezählt werden. Die Exzentrizität ε ist ein Maß für die Abweichung der Planetenbahn von einer Kreisbahn und meist sehr klein. ε = 0 würde einem exakten Kreis entsprechen, ε < 1 einer Ellipse. Für das Beispiel der Erde eröffnet sich damit die Möglichkeit, die schon erwähnte » Zeitgleichung « zu berechnen, die im 17. Jahrhundert in tabellarischer Form an Londoner Uhrmacher weitergeben wurde.
** Wenn sich Planeten um die Sonne drehen, wenn Pendel, Federn und Quarzkristalle hin-und herschwingen, wird periodisch potenzielle in kinetische Energie umgewandelt und umgekehrt. Solange die Bewegung ungestört von äußeren Einflüssen verläuft, bleibt die Gesamtenergie E gleich. Dann zeichnet der Energieerhaltungssatz – in leibnizscher Schreibweise : dE/dt = 0 – einen Zeitparameter t und zählbare Perioden aus. Für verschiedene Systeme, in denen der Energieerhaltungssatz annähernd gilt, ist das Verhältnis der Zeitintervalle dt1 zu dt2 konstant. Daher lassen sich zwei Uhrzeiten t1 und t2 leicht ineinander umrechnen. Die spezielle Verknüpfung der Uhrzeit mit der Energieerhaltung verdeutlicht die wechselseitige Abhängigkeit von Beobachtung und Theorie : Erkannte Regelmäßigkeiten wie die Pendelschwingung veranlassen Menschen dazu, Uhren zu entwerfen und zu verfeinern. Für den Forscher ist eine Uhr wiederum ein Messinstrument, mit dem er seine Theorie auf die Probe stellen und den Energieerhaltungssatz testen kann. So stellten Forscher in den 1670er-Jahren fest, dass ein Pendel am Äquator langsamer schwingt als in Paris. Weil die Erde keine Kugel ist, ändert sich die potenzielle Energie von Breitengrad zu Breitengrad. Moderne Atomuhren ticken schon auf einem Hausdach messbar langsamer als im Erdgeschoss.
Die Kausalstruktur der Welt
Erst im 20.Jahrhundert ist das leibnizsche Verständnis von Zeit auf verschlungenen Wegen aus dem Schatten der newtonschen Physik herausgetreten. Und zwar zunächst im Kontext der Relativitätstheorie. Bei der Entstehung dieser Theorie spielte die inzwischen weit vorangeschrittene Uhrentechnik eine ähnlich bedeutende Rolle wie bei der Herausbildung der newtonschen Physik.
Einsteins bahnbrechende Untersuchungen zur Gleichzeitigkeit fielen in eine Epoche, in der sich die Welt telegrafisch vernetzte und Eisenbahnen die Länder miteinander verbanden. Die Synchronisation von Uhren im elektrischen Zeitnetz und die Koordinierung von Fahrplänen bargen viele technische Probleme. Als Angestellter im Berner Patentamt hatte Einstein schon von Berufs wegen damit zu tun. 174 Er fragte sich, wie voneinander entfernte Uhren aufeinander abgestimmt werden könnten und was Gleichzeitigkeit bedeute.
»Wir haben zu berücksichtigen, dass alle unsere Urteile, in welchen die Zeit eine Rolle spielt, immer Urteile über gleichzeitige Ereignisse sind. Wenn ich z.B. sage: ›Jener Zug kommt hier um 7 Uhr an‹, so heißt dies etwa: ›Das Zeigen des kleines Zeigers meiner Uhr auf 7 und das Ankommen des Zuges sind gleichzeitige Ereignisse.‹«
Es mag den Anschein haben, dass alle Schwierigkeiten mit der Definition der »Zeit« dadurch überwunden werden könnten, dass man anstelle der »Zeit« die Stellung des kleinen Zeigers seiner Uhr setzt, fuhr Einstein fort. »Eine solche Definition genügt in der Tat, wenn es sich darum handelt, eine Zeit zu definieren ausschließlich für den Ort, an welchem sich die Uhr eben befindet; die Definition genügt aber nicht mehr, sobald es sich darum handelt, an verschiedenen Orten stattfindende Ereignisreihen miteinander zeitlich zu verknüpfen, oder – was auf dasselbe hinausläuft – Ereignisse zeitlich zu werten, welche in von der Uhr entfernten Orten stattfinden.« 175
In diesen wenigen Sätzen begegnen wir einem typischen Problem im Umgang mit Zeit, über das Leibniz stillschweigend hinweggegangen war. Zwar hatte der Philosoph ausführlich erörtert, was wir damit meinen, wenn zwei Dinge am selben Ort sind, nicht aber, was es heißt, zwei Ereignisse als gleichzeitig zu bezeichnen. Einstein, ringsum von moderner Uhrentechnik umgeben, brachte diese Frage in eine moderne Fassung: Wie lassen sich voneinander getrennte Uhren synchronisieren?
Man könnte zu diesem Zweck eine transportable Uhr zu den verschiedenen Orten bringen, um alle anderen danach zu justieren. Wie wir in diesem
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