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Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)

Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)

Titel: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas de Padova
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gewünschten Zeitpunkt anhand der newtonschen Bewegungsgleichungen den Abstand des Planeten von der Sonne sowie den Beobachtungswinkel.
    So viel zur wissenschaftlichen Praxis. Als astronomischer Beobachter könnte man aber auch einer anderen Frage nachgehen, die heute aufgrund der omnipräsenten Uhren nicht mehr gestellt wird: Wie viel Zeit ist verstrichen, wenn ich den Planeten Mars heute um Mitternacht an diesem Ort relativ zur Sonne gesehen habe und ihn später an jener Stelle wiederentdecke? Wie kann ich das Zeitmaß selbst aus den wechselnden Konfigurationen des Systems gewinnen?
    Johannes Kepler quälte sich Anfang des 17.Jahrhunderts jahrelang mit der Marsbahn herum. Er erkannte, dass die Geschwindigkeit des Planeten um die Sonne nicht gleich bleibt. Weder Mars noch Erde legen auf ihren elliptischen Umlaufbahnen in gleichen Zeiten gleiche Strecken zurück. Kommen sie der Sonne näher, bewegen sie sich schneller, in größerem Abstand von ihr langsamer.
    Dennoch ist es möglich, aus ihrer Bewegung ein Zeitmaß abzuleiten. Nachdem Kepler die damals besten Beobachtungsdaten analysiert hatte, fand er heraus, dass der von der Sonne zum Planeten gezogene Strahl in gleichen Zeitintervallen gleich große Flächen überstreicht, sprich: Die jeweils überstrichene Fläche ist ein verlässliches Maß für die Zeit t. Wenn Astronomen diese Fläche aus Winkelmessungen ermitteln, resultiert auch die Zeit aus relativen, beobachtbaren Größen. Der zunächst abstrakte Zeitparameter t kann aus den verschiedenen Konstellationen der Planeten und der Sonne abgelesen werden. * Aber erst wenn Wissenschaftler nach vergleichenden Beobachtungen und Analysen definiert haben, was eine gleichförmige Bewegung sein soll – etwa durch den keplerschen Flächensatz oder durch den Energieerhaltungssatz –, lässt sich eine Systemzeit definieren und feststellen, ob in Bezug auf diese Gesetzmäßigkeit ein anderer Geschehensablauf mit strenger Regelmäßigkeit erfolgt oder nicht. »Die Frage, ob eine Bewegung an sich gleichförmig ist, hat gar keinen Sinn«, folgerte der Physiker und Wissenschaftstheoretiker Ernst Mach. »Wir sind ganz außerstande, die Veränderungen der Dinge an der Zeit zu messen. Die Zeit ist vielmehr eine Abstraktion, zu der wir durch die Veränderung der Dinge gelangen.« 173
    Newton blieb zu Lebzeiten bei seinem Konzept eines »absoluten Raumes« und einer »absoluten Zeit«. Bei näherem Hinsehen sind dies keine unbedingt notwendigen Voraussetzungen für eine Planetentheorie. Auch in einem System, das aus mehreren Planeten besteht, lässt sich eine Systemzeit berechnen. Zu eben diesem Zweck haben Astronomen die Planetenkonstellationen seit Jahrtausenden aufgezeichnet, ihre Ergebnisse ausgetauscht und auf diese Weise über alle Ländergrenzen hinweg einen gemeinsamen zeitlichen Bezugsrahmen geschaffen. Und damit ist die astronomische Zeit bis heute Richtschnur für unsere soziale Uhrzeit.
    Auf diesem reichen kulturellen Erbe bauen auch die Principia auf. Als erfahrener Himmelsbeobachter meinte Newton, wir könnten uns dem Ideal einer »wahren und mathematischen Zeit« nur auf dem Weg der astronomischen Zeitbestimmung nähern und nicht mithilfe mechanischer Uhren, die aber dank der Findigkeit der Uhrenbauer genauso dafür geeignet sind. ** Indem Newton das ideale astronomische Zeitmaß absolut setzte, eröffnete er Physikern die Möglichkeit, alle anderen Bewegungen von Körpern, seien es Fall-, Bahn-, Wurf-oder Rollbewegungen, darauf zu beziehen. Eine einfache physikalische Theorie kommt ohne eine solche Setzung nicht aus.
    Zumindest dies hätte Leibniz in der Debatte mit Clarke anerkennen können. Doch angesichts des schwelenden Prioritätsstreits lag ihm nichts ferner als eine Würdigung seines englischen Kontrahenten. Newton hatte seinen Principia die »absolute Zeit« und den »absoluten Raum« allerdings auch gar nicht als Setzungen vorangestellt. Vielmehr meinte er, ihre Existenz beweisen zu können. Eben das bestritt Leibniz.
    * Für mathematisch Interessierte sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die Zeit t für einen Planetenumlauf durch eine mathematische Gleichung der Form t = T/2π ( E – ε sin E ) darstellen lässt. Astronomen bezeichnen den Hilfswinkel E als » exzentrische Anomalie «. Ausgangspunkt für die Beobachtung zum Zeitpunkt t = 0 unter dem Winkel E = 0 ist hier der kleinste Abstand des Planeten von der Sonne, dagegen bezeichnet E = π seine größte Entfernung von der Sonne. Eine volle

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