Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)
Uhren überblendet ist und in der sich die Philosophie noch nicht in ihre späteren Disziplinen aufgefächert hat.
Die Kapitel pendeln zwischen England und dem Kontinent hin und her. Sie erzählen, wie europäische Adelshöfe und Metropolen den Kutschenverkehr und die nächtliche Straßenbeleuchtung einführen, wie das Zeitungs-und Zeitschriftenwesen Verbreitung findet, wie in den Großstädten das Bedürfnis nach einer kontinuierlichen Zeitbestimmung wächst und in welchem gesellschaftlichen Kontext Uhren mit Minuten-und Sekundenzeiger aufkommen.
Parallel dazu wird Zeit zum Gegenstand der Naturwissenschaften. Newton entwickelt den für die Physik maßgeblichen Zeitbegriff. Seine »absolute Zeit« ist ein fester Bezugsrahmen, in dem sich alle Körper bewegen. Analog zur standardisierten Uhrzeit, die ein koordiniertes Miteinander der Menschen in einer Großstadt ermöglicht, reduziert die »absolute Zeit« die Komplexität im Zusammenspiel physikalischer Objekte.
Dadurch wird zwar verständlich, warum wir von »der Zeit« sprechen. Aber gerade gegen eine solche Verdinglichung von Zeit wehrt sich Leibniz energisch. Für ihn gibt es keine »Zeit an sich«, sondern nur zeitliche Beziehungen zwischen Ereignissen. Der Philosoph stellt eine relationale Theorie der Zeit auf, die jedoch im Schatten der newtonschen Physik steht und bald in Vergessenheit gerät.
Erst im 20. und 21.Jahrhundert findet sie eine wachsende Anhängerschaft, nachdem in der Wissenschaftstheorie Ernst Mach, in der Physik Albert Einstein und in der Soziologie Nobert Elias einen Relationalismus im leibnizschen Sinn vertreten haben. Insbesondere die Schwierigkeit, die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik miteinander zu verbinden, lässt das Interesse an der leibnizschen Zeitauffassung heute aufleben. Dabei wird deutlich, dass die großen modernen physikalischen Theorien in Bezug auf das dahinterstehende Zeitverständnis ebenso weit auseinanderliegen wie die leibnizsche von der newtonschen Position. Ihre Kontroverse über Raum und Zeit ist bis heute nicht gründlich genug aufgearbeitet worden.
Die Gegenüberstellung der beiden faszinierenden Figuren steht im Mittelpunkt dieses Buches. Es schildert, wie im ausgehenden 17.Jahrhundert erstmals minutengenaue Uhren in bürgerliche Haushalte einziehen und dem Menschen auf den Leib rücken, wie das Tempo in die Welt kommt und eine präzise Uhrzeit die lokale Sonnenzeit in Verruf bringt. Und schließlich, wie sich der Zeitstandard vom erfahrbaren Himmelsgeschehen ablöst, kurz: warum die Neuzeit ihren Namen zu Recht trägt. Die biografische Konstellation ist Ausgangspunkt für eine Entdeckungsreise auf den Spuren der Zeitbestimmung und der menschlichen Zeiterfahrung in die beschleunigte Welt der Moderne. In eine Welt der Unruhe.
Teil I
ZEIT DER SCHATTEN
Teil II
ZEIT DER UHREN
Teil III
ZEIT DER MATHEMATIK
EIN NEUES WELTSYSTEM
Von dem Uhrenexperten Robert Hooke erhält Newton den entscheidenden gedanklichen Anstoß für eine neue Theorie der Schwerkraft
Wenn von einer »wissenschaftlichen Revolution« im ausgehenden 17.Jahrhundert die Rede ist, dann immer mit Bezug auf Newtons Principia und die ihnen zugrunde liegenden Konzepte von Raum und Zeit, Kraft und Bewegung. Newtons Theorie der Gravitation unterscheidet nicht mehr zwischen kosmischen und irdischen Vorgängen, sondern schlägt eine Brücke zwischen Himmel und Erde. Planeten und Kometen fallen aus demselben Grund auf die Sonne zu wie der Apfel zu Boden. Die Wanderbewegungen der Gestirne und die Flugbahn eines Balls folgen universellen mathematischen Gesetzen. Vorhergehenden Forschergenerationen lag der Gedanke fern, der Lauf der Himmelskörper könnte auf einem komplexen Zusammenspiel von Kräften beruhen. Die Himmelskunde war eine messende Wissenschaft. Nach Ursachen zu fragen gehörte zu den Aufgaben der Philosophen und nicht zu denen der Astronomen.
Die Naturphilosophen ihrerseits knüpften vor allem an Alltagserfahrungen an. Selten fußten ihre physikalischen Vorstellungen auf Experimenten, denn ohne adäquate technische Hilfsmittel waren selbst einfache Prozesse wie der Fall einer Kugel einem Messprozess gar nicht zugänglich. Noch zu Beginn des 17.Jahrhunderts fehlten Galilei geeignete Uhren, um die extrem kurzen Zeiträume zu bestimmen und zu unterteilen, in denen ein fallender Gegenstand den Boden erreicht. Notgedrungen griff er auf Wasseruhren zurück. Wenn es um kleinste Zeitintervalle ging, vertraute er auch auf sein
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