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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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(427–347) schon vor rund 2500 Jahren. In seinem berühmten »Höhlengleichnis«, das noch heute gerne als Beispiel in der Schule herangezogen wird, beschrieb er eine Gruppe von gefesselten Menschen, die nur die Schatten sehen können, die von Gegenständen hinter ihrem Rücken auf die Höhlenwand geworfen werden. Da sie keine anderen Erfahrungen machen können, betrachten sie die Schatten der Dinge ganz selbstverständlich als die realen Dinge. Platon fragte, was geschehen würde, wenn einer der Gefangenen befreit würde, die Höhle verlassen könnte und die Dinge so sähe, wie sie wirklich sind: Würden die anderen Gefangenen seinen phantastischen Erzählungen Glauben schenken? Wohl kaum! Dennoch hätte der Außenseiter eine »höhere« Form der Erkenntnis gewonnen.
    Das Höhlengleichnis lässt sich auf verschiedene Weise deuten (was wohl der Grund dafür ist, warum Lehrer es immer wieder aus der Tasche ziehen). Platon selbst wollte damit demonstrieren, dass der Mensch seinen Sinneseindrücken misstrauen und nach »höherem Geistigem« streben sollte. Nur so könne er entdecken, was sich hinter der erfahrbaren Welt verberge: Für Platon war dieser »Ursprung aller Dinge« das »Reich der Ideen«, andere nannten es »Gott«.
    Das Christentum, das von der Antike ansonsten herzlich wenig wissen wollte, adoptierte den Philosophen Platon wie kaum einen anderen vorchristlichen Denker. Das lag nicht nur daran, dass Platon der Namenspatron der sogenannten platonischen Liebe ist (einer rein »geistigen Liebe«, unbefleckt von »sexueller Begierde«). Wichtiger noch war, dass sich sein Gedankengebäude wunderbar ins religiöse Weltbild einfügen ließ. Schließlich geht auch das Christentum davon aus, dass sich hinter den profanen, sinnlich wahrnehmbaren Dingen eine »höhere geistige Quelle« (nämlich »Gott«) verbirgt.
    Skeptiker wie der englische Philosoph David Hume (1711 bis 1776) lehnten derartige Vorstellungen ab. Für Hume war es offensichtlich, dass sich alle Ideen (selbst die erhabensten Ideen Platons) letztlich aus einfachen Sinneseindrücken speisten (etwa der Wahrnehmung von heiß und kalt). Die Sinne waren für ihn die einzige Quelle unseres Wissens über die Welt. Unabhängig von sinn lichen Eindrücken, meinte er, könne man gar nicht sinn voll über die Wirklichkeit sprechen.
    Humes bodenständige Philosophie war so revolutionär, dass sie nicht nur auf dem Index der verbotenen Bücher der katholischen Kirche landete, sondern einem bedeutenden deutschen Kollegen regelrecht die Sprache verschlug: Erst nach 11-jährigem öffentlichen Schweigen brachte Immanuel Kant (1724–1804) seine berühmte Antwort auf Hume, die »Kritik der reinen Vernunft«, heraus – ein Buch, das so unverschämt gut war, dass es ebenfalls auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt wurde. In der »Kritik der reinen Vernunft« machte der Königsberger Philosoph unmissverständlich klar, dass wir das »Ding an sich« niemals erkennen können, sondern bloß dessen Erscheinung, das »Ding für uns«. Warum? Weil Erkenntnis für Kant (wie für Hume) stets abhängig vom Subjekt ist! Allerdings spielen dabei nicht nur sinnliche Erfahrungen eine Rolle, sondern auch Denkmuster, über die wir schon vor aller Erfahrung verfügen (Kant sprach hier von einem Wissen »a priori« = lat. »vom Früheren her«).
    Tatsächlich ist uns eine gewisse Vorstellung von Raum und Zeit, Ursache und Wirkung angeboren, weshalb schon Babys recht verdutzt aus der Wäsche schauen, wenn ein Ball auf einer schiefen Ebene nach oben statt nach unten rollt. Wie diese Vorannahmen entstanden sind, konnte erst die evolutionäre Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert erhellen: Forscher wie Konrad Lorenz (1903–1989), Rupert Riedl (1925–2005) und Gerhard Vollmer (*1943) zeigten auf, dass unsere Weise, die Welt zu betrachten, ein Produkt der Evolution ist wie unser Geruchssinn oder die Funktionsweise unseres Verdauungstraktes.
    Immanuel Kant traf also voll ins Schwarze, als er den Begriff »a priori« (»vom Früheren her«) für die Vorannahmen der Erkenntnis verwendete. Selbstverständlich war ihm (rund 70 Jahre vor Darwins Buch »Über die Entstehung der Arten«) nicht bewusst, wie früh sich dieses »Frühere« bereits in der Natur zu entwickeln begann. Aber vielleicht war das auch gut so, denn hätte Kant neben seiner skandalösen Religions- und Ideologiekritik auch noch eine Evolutionstheorie entworfen, wäre der Königsberger Philosoph wohl zu Königsberger

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