Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leiche in Sicht

Leiche in Sicht

Titel: Leiche in Sicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
Vom Netzwerk:
angesichts seiner Enthüllungen weder Überraschung
noch Betroffenheit gezeigt, sich auch nicht für Mr. Pringles Hilfe bedankt. Man
werde sich bei ihm melden. Damit war er verabschiedet. Mr. Pringle fühlte sich
wie ein Schauspieler, der beim Vorsprechen durchgefallen war.
     
    Als er die Haustür aufschloß, hörte er
drinnen das Telefon klingeln. Es war Mavis.
    «Hast du dir schon ein Geschenk
überlegt?» wollte sie wissen. «Manche Paare sprechen sich mit einem Geschäft ab
und legen eine Liste aus.»
    «Ich habe keine Ahnung», sagte er müde.
    «Soll ich mich darum kümmern? Und
willst du nicht bei Moss Bros. Vorbeigehen? Ich nehme an, die Hochzeit wird
eine ziemlich formelle Angelegenheit, auch wenn alles etwas überstürzt gegangen
ist.»
    «Ich habe nicht vor, mich großartig in
Schale zu werfen.»
    «Na schön, das mußt du selbst wissen.
Aber tu mir einen Gefallen und halte deine graue Hose, bevor du sie anziehst,
mal gegen das Licht. Sie muß wahrscheinlich ausgebürstet und gebügelt werden.
Und geh vorher zum Friseur. Deine Haare stehen im Nacken schon wieder ab.»
    Er schaffte es einfach nicht, sich mit
ihr weiter über die Hochzeit zu unterhalten, nicht nach dem, was er heute getan
hatte. Sie verabredeten, daß er Mitte der Woche im Bricklayers vorbeikommen würde, dann verabschiedete er sich.
    Unten im Wohnzimmer hatte er das
Gefühl, als ob ihm die Decke auf den Kopf fiele. So ging er nach oben in sein
Arbeitszimmer, um sich bei seinen Bildern Trost zu holen. Besonders zwei —
kleine Wunderwerke an Vollkommenheit — hatten bisher nie ihre beruhigende
Wirkung auf ihn verfehlt, aber heute sah er nur zusammenhanglose Formen, die
Essenz blieb ihm verschlossen.
    Er hielt es drinnen nicht aus und
verließ das Haus. Ziellos wanderte er in den Straßen umher und versuchte,
Abstand herzustellen zwischen sich und dem, was er getan hatte. Doch die vielen
fremden Gesichter um ihn her brachten ihm nur um so deutlicher zum Bewußtsein,
wie sehr er sich durch seine Handlungen zum Außenseiter gemacht hatte.
    Dabei war alles, was er getan hatte,
seine Version der Ereignisse zu schildern, die zu Elizabeth Hursts Tod geführt
hatten. Er hatte keine Schlußfolgerungen gezogen, keine Akzente gesetzt,
niemanden beschuldigt. Das alles war Sache der zuständigen Behörden. Und
plötzlich war er erleichtert. Er hatte getan, was richtig war, mehr nicht. Es
war töricht gewesen, sich einzubilden, auf ihm allein habe die Last der Entscheidung
gelegen. Er hatte die dafür zuständigen Leute informiert, nun war es an ihnen,
über das weitere Vorgehen zu befinden. Er selbst würde jetzt zusehen, die ganze
Geschichte mit der ihr zukommenden Distanz zu betrachten — er hatte damit
nichts mehr zu tun.
    Die Erleichterung machte ihn fast
übermütig. Vor dem Schaufenster eines soliden Herrenausstatters blieb er stehen
und überlegte, ob er sich einen neuen Hut kaufen solle. Der Hut im Fenster sah
genauso aus wie der, den er aufhatte — nur eben neu. Wie lange mochte er den
alten schon haben? Zehn, zwölf Jahre bestimmt. Er fand nicht, daß er abgetragen
aussah, doch betrat er den Laden, einfach weil er Lust hatte, sich in
Versuchung führen zu lassen. Kaum war er über die Schwelle getreten, wußte er
wieder, warum er gerade dieses Geschäft so schätzte: Alle Verkäufer schienen — unabhängig
von ihrem tatsächlichen Alter — so alt zu sein wie er selbst.
    Er stand vor einem großen, dreiteiligen
Spiegel. Der ungewohnte Blick auf sich selbst verstörte ihn. Sein Rücken war
gebeugt wie bei einem alten Mann, er versuchte, die Schultern zurückzunehmen.
Der Saum seines Regenmantels hing an zwei Stellen herunter. Bei so einem
abgerissenen Typen wie ihm wäre ein neuer Hut völlig fehl am Platz, sagte er
sich. Außerdem wollte Mavis Geld von ihm, um das Hochzeitsgeschenk zu kaufen.
Beides zugleich konnte er sich nicht leisten. Er entschied sich für zwei Paar
Socken.
    Der Verkäufer blieb freundlich. Er
wußte, daß Mr. Pringle wiederkommen würde. Männer in seinem Alter waren treue
Kunden. Als Mr. Pringle auf sein Haus zuging, bemerkte er, daß auf der
gegenüberliegenden Straßenseite ein Mini geparkt stand. Er schloß die Haustür
auf und hörte, wie hinter ihm eine Wagentür zugeklappt wurde und eilige
Schritte. Er drehte sich um: Es war Charlotte. Im Schein der untergehenden
Sonne leuchteten ihre Haare und ihr Gesicht in feurigem Rot. Sie sah aus wie
ein Racheengel, dachte er unbehaglich? Weshalb war sie gekommen — und

Weitere Kostenlose Bücher