Leiche in Sicht
sollten Sie besser zur
Polizei gehen.»
«Also gut, aber ohne Ihre Zusicherung,
daß eine derartige Annahme nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist,
würden die mich gar nicht zu Ende anhören. Wenn der Ablauf der Ereignisse sich
tatsächlich so abgespielt hat, dann ist der Zustand der Leiche der einzige
Beweis.»
«Tut mir leid, aber darüber kann ich
wirklich nicht mit Ihnen diskutieren. Vorschriften sind Vorschriften — ich bin
mir nicht sicher, ob ich nicht schon durch dieses Gespräch meine Befugnisse
weit überschreite. Gehen Sie mit Ihren Vermutungen zur Polizei — und bitte,
hören Sie auf, meine Sekretärin zu belästigen.»
Mr. Pringle unternahm einen letzten
Versuch. «Würden Sie sagen, daß das, was ich eben beschrieben habe, Ihrer
Erfahrung nach überhaupt möglich wäre?» Der Pathologe fügte seinen Fratzen noch
ein paar greuliche Details hinzu.
«Jedenfalls nicht völlig
ausgeschlossen», gab er zu. Mr. Pringle erhob sich. «Moment, es gibt da noch
eine Frage. Sie haben bisher noch nichts dazu gesagt, wie Ihrer Meinung
nach die Tat begangen wurde. Und Sie wissen ja — die Leiche wies keinerlei
Anzeichen von Gewaltanwendung auf.»
«Ich bin davon ausgegangen, daß man
eine Plastiktüte benutzt hat. Es gab auf jedem der Boote mehrere solche Tüten.
Sie werden dazu benutzt, die Rettungsausrüstung vor Wasser zu schützen. Es war
überhaupt kein Problem, an sie heranzukommen. Und was die Gewaltanwendung
angeht—wie hätte Elizabeth auf die Idee kommen sollen, sich wehren zu müssen?»
Draußen war es bitterkalt, die warme
Periode war vorüber. Es war nicht auszuschließen, dachte Mr. Pringle, daß es am
Hochzeitstag regnen würde. Die Hochzeit! Es waren nur noch wenige Tage bis zu
dem angesetzten Termin, doch bevor er zur Polizei ging, würde er noch
Rücksprache mit einem Juristen nehmen.
Die Sekretärin in Warlingham machte ihm
nicht viel Hoffnung. «Ich habe noch keinen von beiden heute morgen gesehen»,
sagte sie. «Um was geht es denn?» Er erklärte es ihr. «Oh, dann wäre eigentlich
Mr. Ridgway zuständig. Er ist unser Spezialist für alles, was Eherecht angeht.
Das Dumme ist nur — ich glaube nicht, daß er heute überhaupt noch kommt.»
«Aber könnten Sie mir nicht trotzdem
einen Termin geben, für alle Fälle?»
«Na gut.» Sie wollte ihn nicht
enttäuschen.
«Ginge es heute nachmittag um halb
drei?»
«Besser um drei», sagte sie. «Das ist
sicherer.»
Pünktlich um drei Uhr betrat er das
Büro. «Ich habe mit Mr. Ridgway gesprochen...» Sie zögerte. Mr. Pringle nickte
ihr ermutigend zu. Das war doch immerhin etwas! «Am Telefon. Er sagte, daß er
heute nicht mehr käme. Sie sollten sich an unseren Seniorpartner wenden, er ist
übrigens da.» Sie blickten beide gleichzeitig zu Reggies Tür. «Das Problem ist
nur — er hat in Ehesachen nicht soviel Erfahrung.»
«Ich brauche nur eine ganz allgemeine
Auskunft», versicherte Mr. Pringle in gedämpftem Ton. Jetzt fing er schon an zu
flüstern, dachte er. Wieso eigentlich? «Ich hätte auch zu irgendeiner anderen
Anwaltsfirma gehen können, aber Ihre Firma hier war mir bekannt, und die Sache
eilt. Bis Samstag brauche ich die Antwort.»
Die Sekretärin blickte auf den Kalender
und wiegte skeptisch den Kopf. «Hoffentlich ist es nichts Kompliziertes.»
«Nein, überhaupt nicht.»
«Da wäre noch etwas. Er» — sie
deutete mit dem Kopf zu Reggies Tür — «er sagt, Sie kämen immer und würden sich
kostenlos beraten lassen. Wenn Sie ihn heute unbedingt sprechen wollen, dann
nur gegen Barzahlung.»
«Wie sind Ihre Sätze?» fragte Mr.
Pringle grimmig. Sie sagte es ihm.
«Okay. Dann eine halbe Stunde.
Eigentlich dürfte es nicht länger als ein paar Minuten dauern, aber da er kein
Experte ist...» Er sprach mit normaler Lautstärke, und die Sekretärin schaute
immer nervöser zu Reggies Tür hinüber.
«Ich denke, er wird länger brauchen»,
sagte sie. Mr. Pringle entschloß sich zu einem Kompromiß: Fünfundvierzig
Minuten. Das Geld für eine ganze Stunde würde er Reggie nicht in den Rachen
werfen. Als er das Zimmer betrat, überlegte er, wieviel Kekse er wohl in einer
Dreiviertelstunde verdrücken könnte, vorausgesetzt, man bot ihm überhaupt
welche an.
Reggie erhob sich bei seinem Eintritt,
das Gesicht zu einer Art Lächeln verzogen. «Wer hätte gedacht, daß wir uns so
schnell wiedersehen würden!»
«Ich möchte gleich zur Sache kommen.
Ich weiß, Ihre Zeit ist — im wahrsten Sinne des Wortes —
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