Leiche in Sicht
mußte zusehen, daß er alle so schnell wie
möglich von hier weg bekam, zurück auf die Boote. Er und John halfen Emma auf
die Füße. Nach ein paar wackligen Schritten knickte sie ein, und sie mußten sie
den Rest des Weges tragen. Die übrigen folgten, leise tuschelnd. Die Stimmung
war gedrückt. Louise ging neben Mr. Pringle.
«Roge kann es nicht gewesen sein,
Pring. Ich habe, als ich losging, ihn und Maureen zusammen gesehen. Genau, wie
sie gesagt hat. Und außerdem ist er nicht der Typ für so etwas», setzte sie
bestimmt hinzu. «Nicht Roge. Für so was besitzt er nun doch nicht die nötige
Portion Dreistigkeit.»
«Irgend jemand muß sie aber offenbar
gehabt haben.»
«Ja... Irgendein Perverser, glauben Sie
nicht auch?»
Merkwürdigerweise und für ihn selbst
überraschend, war Mr. Pringle froh, daß er mit Mrs. Gill zusammengewesen war.
Er hatte sie, nachdem sie Emma entdeckt hatten, nicht mehr gesehen. Vermutlich
hatte sie es unter diesen Umständen doch vorgezogen, sich ihrem Mann
anzuschließen.
«Es ist kein angenehmer Gedanke, daß
wir einen potentiellen Vergewaltiger unter uns haben», murmelte er.
«Ach nein?» gab sie ironisch zurück.
«Entschuldigung», sagte er betreten.
«Schon gut. Ich weiß ja, daß Sie es nicht
waren. Aber man sollte nicht glauben, wie viele Männer zu so etwas fähig sind.»
«Das tut mir leid zu hören», sagte er
hilflos.
«Glaube ich Ihnen. Tja, das vorhin war
eben eine der vielen Überraschungen, die das Leben für uns bereithält. Gute
Nacht.» Mit großen Schritten ging sie den Kai entlang zur Pisces. Er
blickte ihr nachdenklich hinterher, dann kletterte er, noch immer Patricks
Taschenlampe in der Hand, an Bord der Zodiac.
Er betrat den Salon so leise, daß sie
ihn zunächst gar nicht bemerkten. Kate und Emma waren nicht zu sehen, sie waren
vermutlich in einer der vier Kabinen. Mr. Fairchild und Patrick waren in eine
erregte Auseinandersetzung verstrickt.
«Ich will Em bei mir auf der Aries haben, damit ich auf sie aufpassen kann. Nur mal angenommen, dieser Verrückte
schlägt noch mal zu?»
«Ich verstehe Ihre Sorge, aber ich
glaube nicht, daß er es noch einmal wagen wird.» Patricks Blick fiel auf Mr.
Pringle. «Könnten Sie uns Tee kochen?» Mr. Pringle nickte und griff nach dem Kessel.
«So wie ich die Sache sehe, hat einer aus unserer Gruppe zuviel getrunken und
sich in Emma verguckt. Das soll keine Entschuldigung sein für das, was passiert
ist, aber ich bin, alles in allem, doch froh, daß sie noch relativ heil dabei
weggekommen ist.»
«Sie muß morgen früh sofort zum Arzt.»
«Warten wir doch erst einmal ab, wie
sie sich morgen früh fühlt, James», sagte Mrs. Fairchild. Sie sah das Ganze
sehr viel gelassener als ihr Mann, dessen Sorge um Emma schon beinahe
übertrieben schien und der auch als einziger Rachephantasien hegte.
«Und was wollen Sie tun, um den Kerl
ausfindig zu machen?»
«John und ich werden jetzt gleich,
während Sie jetzt erst mal eine Tasse Tee trinken, den anderen Booten einen
Besuch abstatten», sagte Patrick, «und falls wir nicht herausfinden, wer es
war, werden wir jedenfalls deutlich machen, daß wir von nun an aufpassen und
daß es ein zweites Mal nicht gibt.»
«Und wenn es nun ein Grieche war?»
Patrick sah ihn ruhig an.
«Das glaube ich nicht. Ich komme jetzt
die fünfte Saison her, und ich würde mein letztes Hemd verwetten, daß es keiner
der Männer aus dem Dorf war. Diese Männer tun so etwas nicht, und außerdem
wollen sie alle, daß wir wiederkommen. Nein, ich fürchte, es war wohl einer von
uns. Bist du bereit, John?» Der Ingenieur war schon aufgestanden. «Und bitte,
trinken Sie jetzt in Ruhe Ihren Tee. Ich kann mir vorstellen, was Sie fühlen;
aber glauben Sie mir, John und ich tun, was in unseren Kräften steht.»
Die Fairchilds nahmen den Tee, den
ihnen Mr. Pringle brachte, schweigend ein. Er füllte zwei weitere Becher und
machte sich auf den Weg zu der als Krankenrevier eingerichteten Kabine. Emma
war noch sehr blaß. Ihre Schrammen sahen jedoch schon nicht mehr ganz so
schlimm aus. «Wenn Sie bitte oben Bescheid sagen würden — ihre Mutter kann
jetzt kommen», sagte Kate. Er ging wieder zurück in den Salon und richtete es
aus. Mrs. Fairchild eilte nach unten, um nach ihrer Tochter zu sehen, und Mr.
Pringle blieb mit Mr. Fairchild allein zurück. Das Schweigen des sonst so
umgänglichen Managers flößte ihm Unbehagen ein, und er war froh, als Kate sich
zu ihnen gesellte.
«Nun?»
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