Leiche in Sicht
Port
Spiglia zurückgelegt. In die Stille hinein gellte ein zweiter Schrei, dann
hörte man ein Krachen und Splittern im Unterholz, als wenn ein Körper den
Abhang hinunterstürzte. Eine weibliche Stimme schrie: «Nein, nein! Hilfe!»
Irgend etwas, irgend jemand prallte mit dumpfem Aufschlag auf die Straße. Mr.
Pringle stand wie gelähmt. Von allen Seiten ertönten Stimmen: «Was ist los? Was
ist passiert?» Taschenlampen leuchteten auf. Mrs. Gill klammerte sich so fest
an seinen Arm, daß es weh tat. «Was ist los?» flüsterte sie. Aus dem Schatten
vor ihnen drang ein Stöhnen. «Da vorne liegt jemand», stammelte er heiser. Er
versuchte weiterzugehen, aber sie hielt ihn zurück.
«Sollten wir nicht besser...» Ein
leises Stöhnen war zu hören.
«Helfen Sie mir!» Und wieder Stille.
Mr. Pringle glaubte, die Stimme erkannt zu haben. Energisch schob er Mrs. Gill
zur Seite und tastete sich wie ein Blinder mit ausgestreckten Armen vorwärts.
«Bleiben Sie, wo Sie sind, ich komme»,
rief er. Hinter ihm hörte er eilige Schritte, dann durchschnitt der Strahl
einer Taschenlampe das Dunkel.
«Was ist?» keuchte Patrick, als er ihn
eingeholt hatte.
«Ich weiß nicht genau. Da drüben an der
Kurve liegt jemand.» Patrick ließ suchend den Lichtkegel umherwandern, dann
schließlich hatte er sie gefunden. Sie lag regungslos, das Haar halb über das
Gesicht gebreitet, den Körper zusammengekrümmt. Als sie die Helligkeit auf
ihrem Gesicht spürte, begann sie sich zu bewegen. Patrick erreichte sie als
erster, gleich hinter ihm kamen John und Kate.
«Was ist passiert?» schrie Kate
aufgeregt, aber Patrick schüttelte den Kopf.
«Eins nach dem anderen. Halten Sie
mal.» Er reichte Mr. Pringle seine Taschenlampe. Behutsam betteten John und er
Emma auf den Rücken und begannen Arme und Beine auf Brüche zu untersuchen. John
schob ihr seinen Pullover unter den Kopf, Kate begann ihr den Schmutz aus dem
Gesicht zu wischen. Mr. Pringle spürte, wie ihm übel wurde. Emmas Gesicht und
Arme wiesen tiefe, blutige Schürfwunden auf. Die Jeans hatten ihre Beine
geschützt, doch ihre langen, glänzenden Haare waren voller Schmutz.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte,
daß nichts gebrochen war, hockte Patrick sich neben sie. «Können Sie sich
erinnern, was passiert ist?» Mr. Pringle hielt die Hand vor die Taschenlampe,
um Emma vor dem grellen Strahl zu schützen. Aufgeregt flüsternd, kamen immer
neue Leute hinzu, angezogen vom Licht der Taschenlampe. Sobald sie das Mädchen
sahen, wurden sie still. Emma fuhr sich mit der Zunge über die geschwollenen
Lippen.
«Ich habe mich nach Charlotte
umgesehen. Sie hatte unsere Taschenlampe. Irgend jemand hat in der Dunkelheit
nach mir gegriffen. Er versuchte... Ich wehrte mich, aber er drehte mir die
Arme auf den Rücken. Dann ließ er mich plötzlich los... Ich fiel. Es war
furchtbar!» Sie begann zu weinen.
«Wissen Sie, wer es war? Haben Sie ihn
gesehen?» fragte Patrick eindringlich.
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, es war
zu dunkel.»
«Erinnern Sie sich, wen Sie in der Nähe
gesehen haben?»
«Char war vor mir. Sie ist etwas früher
gegangen, und ich habe mich beeilt, um sie einzuholen. Der einzige, den ich
gesehen habe, war... Roge.»
«O nein!» Roges Frau Maureen drängte
sich durch das Grüppchen von Leuten nach vorn. «Es ist mir egal, was sie
gesehen hat — ich und Roge waren jedenfalls die ganze Zeit zusammen. Roge, wo
bist du? Komm und sag es ihnen selbst!» Zögernd trat Roge ins Licht.
«Ich war es nicht. Ich habe sie nicht
gestoßen. Ich war die ganze Zeit über bei Maureen.»
In diesem Augenblick kamen die
Fairchilds auf die Gruppe zu. Schweigend trat man beiseite, um sie
durchzulassen.
«Mein Liebling, was ist geschehen? Dein
armes Gesicht!»
«Großer Gott, Em!» Ihr Vater kniete
sich neben sie. «Wer hat das getan?»
«Ich weiß es nicht», sagte sie mit
klagendem Ton. «Irgend jemand hat mich gestoßen. Es war... ein Mann. Er... hat
sich an mich gedrückt.» Alle lauschten gebannt. «Als ich mich wehrte, hat er
mich losgelassen und mir noch einen Stoß gegeben, so daß ich den Abhang
hinuntergestürzt bin.»
Schaudernd blickte sie den steilen
Abhang hoch. Vor dem Nachthimmel konnte man die schattenhaften Umrisse einiger
knorriger Bäume erkennen, die ihre Äste drohend in die Höhe reckten. Mrs.
Fairchild sagte erschrocken: «O mein Liebling, du hättest tot sein können.»
«Meinen Sie, daß Sie gehen können?»
fragte Patrick betont sachlich; er
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