Leiche in Sicht
sie doch als
Vorwand dienen, möglichst schnell auszulaufen.
«Nun seht euch die bloß an», sagte
Patrick verächtlich, «jeder Handgriff vorschriftsmäßig wie aus dem Lehrbuch.
Anscheinend versuchen sie, im nachhinein doch noch den Beweis anzutreten, was
für großartige Segler sie sind... Aber ihre Bemühungen kommen ein bißchen zu
spät.»
«Habt ihr gestern nacht noch etwas
herausgefunden», erkundigte sich Kate.
«Nein.»
«Sie sahen alle schuldbewußt aus,
selbst die Frauen», sagte John.
«Habt ihr jemanden im Verdacht?»
Patrick und John sahen sich an.
«Hanson und Clarke kommen nicht in
Frage. Die beiden Familien waren den ganzen Abend über zusammen, einschließlich
der Väter», sagte John.
«Matthew Shaw und sein Onkel waren es
ebenfalls nicht. Auch Mr. Fairchild scheidet aus», ergänzte Patrick. «Aber was
ist mit Käpt’n Phyllis’ besserer Hälfte?» fuhr er fort.
«Was — der alte Reggie?» Kate sah ihn
verblüfft an. «Der ist doch stocktaub!»
«Na und? Seit wann beeinträchtigt
Taubheit das Triebleben?»
«Also, ich denke, daß es Gill war»,
sagte John ernst, «seine Frau war mit Pringle zusammen, er war also allein.»
Kate unterdrückte ein Schaudern. «Ich hoffe nur, daß ihr ihm wirklich angst
gemacht habt!»
«Keine Sorge, der rührt kein Mädchen
hier mehr an», sagte John. Die Augen gen Himmel gerichtet, fuhr er fort:
«Hoffen wir, daß das ruhige Wetter wenigstens so lange anhält, bis wir sie alle
sicher im Hafen von Parga haben.»
Auf der Aries war Emma dabei,
sich Salbe auf die verletzten Stellen zu streichen.
«Brennt es sehr?» fragte Charlotte
schüchtern.
«Nein, nicht besonders. Char, hast du gestern nacht etwas gesehen?» Ihre Schwester stöhnte.
«Jetzt fang du nicht auch noch an.
Dieselbe Frage hat mir Pa gestern nacht mindestens ein halbes dutzendmal
gestellt!»
«Und — hast du?»
«Nein. Und von jetzt ab werde ich dir
nicht mehr von der Seite weichen, das verspreche ich dir.»
«Aah», Emma schrie leise auf. Ihre
Schwester zuckte voller Mitgefühl ebenfalls zusammen.
«Wäre es nicht besser, du bliebst unter
Deck, anstatt dich jetzt in die Sonne zu legen?»
«Aber unten ist es so stickig, da wird
mir immer so leicht übel.»
«Was ich dir noch sagen wollte, Em...
Es tut mir wirklich leid, was da gestern abend passiert ist.» Charlotte war
etwas rot geworden. «Pa ist ja sowieso der Meinung, daß das Ganze meine Schuld
sei... und daß es nur die Falsche getroffen habe...» Emma schielte anzüglich
auf Charlottes bloße Brüste.
«Ach was. Darüber mach dir mal keine
Gedanken. Ich habe ja zum Glück alles heil überstanden, und ich glaube nicht,
daß so etwas wieder passiert. Kannst du mir mal bitte helfen?» Charlotte stand
bereitwillig auf und war ihrer Schwester behilflich, ein weites Hemd
überzustreifen.
Auf der Capricorn stand Matthew
an der Pinne. Die Segel waren dichtgeholt, und Elizabeth hatte sich neben ihn
gesetzt. Mr. Pringle hatte seinen üblichen Platz eingenommen, die Hand wie
immer leicht auf den Rettungsring gelegt.
«Glaubst du, daß — wer immer es auch
war — gestern nacht die Richtige erwischt hat?» fragte Liz. Matthew sah sie
beunruhigt von der Seite an.
«Was meinst du damit?»
«Es ist genau die Art Zwischenfall, die
immer mir zustößt.» Sie zuckte die Achseln. «Vergewaltigung zum Glück bis jetzt
noch nicht, aber daß Verrückte mich behelligen. Sie schicken mir anonyme
Briefe, in denen sie mir alle möglichen perversen Sachen androhen. Meine
Vermögenstreuhänder fangen die meisten ab, aber ein paar kommen doch immer
wieder bei mir an.»
«Aber das ist ja furchtbar!» rief Mr.
Pringle unwillkürlich. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf angesichts soviel
altmodischer Empörung.
«Wenn ich das Geld erst mal los bin,
wird mit solchen Sachen Schluß sein, hoffe ich.»
«Aber bis dahin», sagte Matthew und
legte ihr seinen freien Arm um die Schulter, «bis dahin lasse ich dich keinen
Moment mehr aus den Augen.» Sie lächelte ihm zu, schmiegte sich jedoch nicht an
ihn, wie sie das vielleicht vor ein paar Tagen noch getan hätte. Aber da hatte
sie ja Charlotte Fairchild noch nicht gekannt, dachte Mr. Pringle. Im übrigen sah
es so aus, als ob die «Segel-Therapie» bei Liz angeschlagen hätte, sie wirkte
sehr viel selbstbewußter. Matthew würde aufpassen müssen, daß er sie am Ende
nicht noch verlor.
Kapitel 11
Nidri kam in Sicht. Die Flottille fuhr
mit vollen Segeln darauf zu, vorbei an der Insel
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