Leiche in Sicht
womöglich auf Rache sinnen
könne.
Phyllis lehnte währenddessen gegen das
Backstag, dann und wann spitze Schreie ausstoßend. Sie war im höchsten Maße
aufgeregt. Am Kai von Port Spiglia war nur noch ein einziger Anlegeplatz frei.
Sechs Boote hielten darauf zu. Die Aquarius lag vorn, die Frage war nur,
ob sie überhaupt rechtzeitig würde stoppen können.
Auf der Zodiac faltete Patrick
unwillkürlich die Hände zum Gebet. Die Aquarius steuerte mit einer
Geschwindigkeit von mindestens fünf Knoten weiterhin auf Kollisionskurs. Kate
stöhnte leise vor sich hin: «O nein, nein...» Jetzt bemerkte auch Phyllis
plötzlich, daß es knapp wurde.
«Fallen lassen! Laß das verdammte Ding
doch endlich fallen, Reggie!» schrie sie. Doch Reggie schien sie nicht zu
hören. Die beiden anderen Besatzungsmitglieder warfen die Fender, die sie
bereitgehalten hatten, beiseite und machten Anstalten, über Bord zu springen.
Da endlich hatte Reggie Phyllis’ Schrei verstanden. Er ließ den Anker fallen,
machte kehrt und rannte, wie von Furien gehetzt, zum Heck. Die herrenlose Ankerkette
schlug krachend gegen die Bordwand und raspelte beim In-die-Tiefe-Sausen Lagen
von Farbe ab. Draußen in der Bucht wartete der Rest der Flottille angstvoll,
wie es weitergehen würde.
Es waren die anderen beiden
Besatzungsmitglieder, die schließlich, ihrem Selbsterhaltungstrieb folgend,
handelten. Sie schubsten Phyllis beiseite, ergriffen die Pinne und legten den
Rückwärtsgang ein. Im selben Moment verfing sich der im Schlepp befindliche
Anker der Aquarius in der Leine eines vor Anker liegenden Kaiks, dessen
Bug durch den Zug der rückwärts fahrenden Yacht mit einem Ruck aus dem Wasser
gehoben wurde. Die an Bord schlafenden Fischer, solchermaßen unsanft geweckt,
sahen sich zum erstenmal in ihrem Leben mit der konkreten Möglichkeit eines
Schiffbruchs konfrontiert, als die Aquarius einen Moment lang vibrierend
anhielt, um dann zu wenden und, den Kai’k im Schlepptau, direkt auf die Linie
der einfahrenden Boote zuzurasen. Doch dort wurde es plötzlich lebendig.
Während er zusah, wie die Flottille sich in Windeseile zerstreute, gab Patrick
über Funk abgehackte Kommandos. Auf der Pisces griff Louise nach der
Flasche. «Ach, du liebe Zeit», murmelte sie, «noch dreizehn Tage mit diesen
Verrückten...»
Kapitel 9
Das Restaurant befand sich in dem auf
einem steilen Hügel gelegenen Dörfchen Spartahouri, gleich oberhalb von Port
Spiglia. Die einzige Straße dort oben hinauf bestand aus einer Folge von
Haarnadelkurven, die, je höher man kam, um so enger wurden. Die Straße war
gesäumt von kleinen Sträuchern und Zypressen. Es stand ein Lastwagen bereit,
der Frauen und Kinder hinauffahren sollte und auf dem sich auch noch ein Platz
für Mr. Pringle fand.
Auf halbem Weg kamen sie an einer
Marienstatue vorbei. Er durfte nicht erwarten, nach einer kaum mehr als
flüchtigen Bekanntschaft bereits von ihr beschützt zu werden, dachte Mr.
Pringle und beschloß daher, in Anbetracht des penetranten Dieselgestanks, den
der Auspuff in die Gegend pustete, den Rückweg doch lieber zu Fuß anzutreten.
Ihre Ankunft im Dorf hatte die Dramatik
eines Bühnenauftritts. Nachdem sie die letzte Kurve umrundet hatten, befanden
sie sich plötzlich auf einem von Straßenlaternen hell erleuchteten Marktplatz.
Bärtige Männer und schwarzgekleidete Frauen traten in vollendeter Höflichkeit
beiseite, um ihnen Platz zu machen, dieser Horde von braungebrannten Fremden,
die in das ruhige Dorf einfielen, fest entschlossen, sich zu amüsieren.
In der Taverne hieß man sie herzlich
willkommen, im Hof standen lange Tische bereit, und Kinder liefen hin und her
und brachten Brot und Wein. Mr. Pringle war so darauf bedacht, den Gills aus
dem Weg zu gehen, daß er gar nicht bemerkt hatte, daß der Platz neben ihm frei
geblieben war. Ihm gegenüber saßen die Fairchilds sowie Matthew und Elizabeth.
«Für eine schmale Person ist hier doch noch
Platz, was?» fragte Roge und schob rücksichtslos seinen fetten Hintern auf die
Bank. «Ich glaube, hier gefällt’s mir», sagte er und grinste vertraulich über
den Tisch hinweg zu Elizabeth. Mr. Pringle stöhnte innerlich auf. Er hatte
vergessen, Elizabeth davor zu warnen, daß Roge auf der Suche nach einem
Geldgeber war.
Doch Roge kam nicht dazu, Elizabeth in
ein Gespräch zu verwickeln. Er hatte kaum mit seinem Annäherungsversuch
begonnen, als Patrick sich von seinem Platz erhob.
«Meine Damen und Herren... dürfte
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