Leiche in Sicht
Mr.
Pringle überlief ein Frösteln. «Ihr Neffe ist uns an dem Abend ziemlich auf die
Nerven gegangen», fuhr Reggie fort. «Kam zähneklappernd zu Walter und mir, wir
sollten ihm suchen helfen.»
«Und?»
«Wie kamen wir dazu, sie war ja nicht
von unserem Boot. Daß sie über den Felsen gestürzt war, damit hatten wir
natürlich nicht gerechnet! Wir hatten außerdem gerade beschlossen, noch zum Strandrestaurant hinunterzugehen. Phyllis brauchte etwas zu essen, sie haßt gegrilltes Hühnchen!»
«Und sind Sie hinterher noch einmal zur
Grillparty zurückgegangen?» erkundigte sich Mr. Pringle. Reggie sah ihn
überrascht an.
«Nein, warum denn? Der Alkoholvorrat
oben ging zur Neige — es gab ja ohnehin nur Rotwein —, und wir hatten noch
Lust, etwas Anständiges zu trinken. Deshalb sind wir gleich vom Restaurant aus
zur Aquarius zurückgekehrt.»
Als Mr. Pringle sich erhob, um zu
gehen, kam Reggie noch einmal auf seine Frau und deren vermeintlichen Auftrag
zu sprechen — das war offenbar so etwas wie eine fixe Idee bei ihm. «Was hat
Phyllis Ihnen denn über meine Freundin erzählt?» wollte er wissen.
«Nichts. Ich sagte Ihnen doch schon,
ich habe mit Ihrer Frau noch nie ein Wort gewechselt.»
Reggie schien endlich überzeugt. «Also
zugetraut hätte ich es ihr», sagte er, «sie hat in der Vergangenheit schon des
öfteren etwas in der Richtung angekündigt.»
Als Mr. Pringle am Schreibtisch der
Sekretärin vorüberging, zog er höflich den Hut: «Vielen Dank für die kleine
Stärkung.» Die Tür zu Mr. Ridgways Büro stand offen, er war wohl noch immer
nicht aufgetaucht. Unwillkürlich blickte Mr. Pringle auf die Uhr. Erst zwölf
Uhr fünfzehn — da konnte man ja noch hoffen.
Während der Heimfahrt wurde seine
Stimmung zunehmend trüber. Im nachhinein fand er, daß er seine Ermittlungen
viel zu oberflächlich geführt hatte. So hatte er zum Beispiel von Reggie
keinerlei Beweise für die Richtigkeit seiner Angaben verlangt, sondern sich
schlicht und einfach auf sein Gefühl verlassen, das ihm sagte, daß die
Auskünfte ehrlich waren. Ein richtiger Detektiv dagegen wäre mit Sicherheit
noch bei Walter vorbeigegangen, um ihn auch zu befragen — vermutlich lebte er
sogar hier ganz in der Nähe. Der schlimmste Kunstfehler aber war sicherlich,
daß er Phyllis noch keinen Besuch abgestattet hatte, und der einzige Grund
hierfür war, daß er sich vor ihr fürchtete. Er seufzte. Daß er den Eindruck
hatte, Reggie habe die Wahrheit gesagt, zählte einfach nicht.
In den ersten Jahren seiner Tätigkeit
als Privatdetektiv hatte Mr. Pringle jede Recherche damit begonnen, Fragebogen
auszuteilen. Doch im Laufe der Zeit war ihm klargeworden, daß die Antworten
genauso irreführend waren wie die Angaben, die er, auf entsprechenden
Formularen, während seiner Tätigkeit als Finanzbeamter bekommen hatte. So hatte
er sich entschlossen, darauf zu verzichten. Und allzu offiziell konnte er in
diesem Fall sowieso nicht auftreten, denn er hatte ja gar keinen richtigen
Auftrag, da noch nicht einmal feststand, ob überhaupt ein Verbrechen begangen
worden war. Das Urteil des Coroners hatte auf Open verdict gelautet, und was
ihn umtrieb, war nicht mehr als ein diffuses Gefühl, daß mit Elizabeths Tod
etwas nicht stimmen könne.
Er hielt an, um den Motor etwas
abkühlen zu lassen, und packte seine Butterbrote aus. Doch selbst noch während
er aß, kreisten seine Gedanken um ihren Tod. Warum war sie gestorben? Es gab
keinerlei Anzeichen für irgendeine gewalttätige Auseinandersetzung. Wenn
Elizabeth angegriffen worden wäre, dann hätte sie sich doch sicherlich gewehrt?
Er knurrte ärgerlich. Die Tatsache, daß sie sich die Verletzungen am Schädel
und an den Gliedmaßen erst nach ihrem Tod zugezogen hatte, wollte ihm nicht in
den Kopf. Eine weitere offene Frage war, wo sich die einzelnen Reiseteilnehmer
an dem Abend aufgehalten hatten. Wo war zum Beispiel Roge gewesen? Und warum
bloß war Elizabeth bergauf und nicht hinunter zur Lichtung gelaufen? Dieses
Problem hatte er gestern noch mit Mavis erörtert.
«Sie ist bergauf gelaufen? Komisch.
Also wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre...»
«Ja?»
«Ich hätte aus Leibeskräften geschrien
und wäre gerannt wie der Teufel. Heutzutage würde mir das Rennen natürlich ganz
schön schwer fallen, aber schreien könnte ich sicherlich noch.»
«Elizabeth hätte rennen können. Die
Frage ist nur, ob man sie, wenn sie geschrien hätte, gehört hätte. Die Musik
auf der Lichtung
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