Leiche in Sicht
fertig. Und denk dir, Matthew hat Champagner mitgebracht. Er sagt, er habe
etwas mit uns zu feiern.»
Auf der Schwelle zum Eßzimmer blieb er
stehen, zu stark war der Eindruck des Déjà-vu. Mavis hatte eine alte Tischdecke
hervorgeholt, die Renée und er während einer Ferienreise erstanden hatten, die
kunstvolle Hohlsaumarbeit verlieh dem alten, wackligen Tisch einen Hauch von
Eleganz. Der Raum war von Kerzen erleuchtet, deren warmer Schein Gläsern und
Porzellan einen edlen Schimmer verlieh. In der Mitte des Tisches thronte ein
großer Blumenstrauß. Er war gerührt. Es war lange her, seit er Blumen im Haus
gehabt hatte. Doch das eigentlich Bedeutsame war für ihn der Anblick von
Matthew, wie er lässig im Sessel saß, und hinter ihm Mavis, erwartungsvoll
lächelnd. Es war eine Szene, die Renée und er sich oft ausgemalt hatten, als
sie noch jung waren, als sie noch davon geträumt hatten, einen Sohn zu
bekommen, der ihnen Freude machen würde, und davon, wie sie beide, sein Sohn
und sie, seine Frau, abends lauschen würden, ob sie seinen Schlüssel im Schloß
hörten.
Ob, wenn Renée und ich einen Sohn
gehabt hätten, er wohl genauso gutaussehend gewesen wäre wie Matthew, dachte
Mr. Pringle. Vermutlich nicht. Er tat einen Schritt ins Zimmer hinein, der
Zauber zerbrach. «Hallo. Es tut mir leid, daß ich dich habe warten lassen.»
«Aber das macht doch nichts», sagte
Matthew lächelnd. «Mavis und ich haben uns solange an deinem Gin schadlos
gehalten.» In dem sanften Licht der Kerzen sah er sehr jung und schutzlos aus.
«Soll ich dir einen Drink machen, Onkel? Du siehst erschöpft aus. Mavis hat
übrigens heute nachmittag einen fabelhaften Pudding produziert — die schiere
Wollust. Mir ist, als ich ihn gesehen habe, das Wasser im Munde
zusammengelaufen — mit Eis und Zitrone?» Seiner guten Laune war nur schwer zu
widerstehen. Mr. Pringle wartete, bis sie die ersten Bissen von der Melone
gegessen hatten.
«Wie ist es dir denn bei der Polizei
ergangen?» erkundigte er sich. «Irgendwelche neuen Enthüllungen?»
«Abgesehen von der Sache mit Gill — nein.
Wir hatten übrigens eine ziemlich lange Sitzung. Sie haben mich Schritt für
Schritt den ganzen Nachmittag und Abend noch einmal rekonstruieren lassen. Nach
all den Wochen war das so ähnlich, als ob man versucht, sich an einen alten
Film zu erinnern. Am Ende hatte ich das Gefühl, als hätte ich buchstäblich über
jede Minute Rechenschaft abgelegt.»
«Ich denke», sagte Mr. Pringle
nachdenklich, «daß man mit größerem zeitlichen Abstand auch einen deutlicheren
Blick auf die Dinge hat. Ich hätte da übrigens noch ein paar Fragen an dich...»
«Schieß los!»
«Als ich an jenem Nachmittag vom
Schwimmen zurückkehrte, sind erst Clarke, dann Roge auf der Capricorn erschienen, um mit Elizabeth zu sprechen. Was ich gern wissen möchte, ist — was
habt ihr beiden in der Zeit eigentlich gemacht?»
«Ja, also...» Matthew schluckte ein
Stückchen Melone hinunter. «Gleich nachdem du losgegangen warst, habe ich
Elizabeth ein Sandwich gemacht. Sie hatte etwas Hunger, und ich dachte, es sei
gut, wenn sie etwas in den Magen bekäme, bevor wir nach Parga aufbrächen. Aber
dann haben wir uns doch entschieden, erst Feuerholz für das Barbecue zu
sammeln.»
«Und Elizabeth kam mit?»
«Ja. Der springende Punkt war
allerdings, daß ich das Dingi genommen hatte, weil ich auf die andere Seite der
Landzunge wollte — Patrick hatte gesagt, dort gebe es jede Menge angeschwemmtes
Treibholz. Im Hafen war das Wasser sehr ruhig gewesen, aber draußen gab es doch
ziemliche Wellen, und Liz wurde wieder schlecht.»
«Mit Landzunge meinst du die Gegend bei
den Felsen, wo Liz dann am anderen Morgen...»
«Ja, ja», sagte Matthew mit fester
Stimme, «genau da. Es war ein bißchen schwierig hinzukommen, aber es gab dort
wirklich jede Menge Holz. Doch vorher habe ich Liz am Ufer abgesetzt. Sie
wollte am Strand noch duschen.
Ich habe dann wie geplant Holz gesammelt,
bin zum Strand zurückgepaddelt und habe das Holz auf die Lichtung geschleppt.
Das Ganze war eine ziemliche Drecksarbeit, deshalb bin ich hinterher auch noch
zum Duschen gegangen.»
«Hast du Liz am Strand getroffen?»
«Nein, erst später im Restaurant. Sie
war in der Zwischenzeit auf dem Boot gewesen und hatte mir eine Nachricht
hinterlassen, daß ich sie dort treffen solle.»
«Als sie zurückgekehrt war, um dir
diese Nachricht zu schreiben, war das der Zeitpunkt, zu dem sie mit Roge
gesprochen
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