Leiche in Sicht
vermutlich tatsächlich mehr als
zehn Minuten waren — aber was soll’s. An dem Abend hat keiner auf die Uhr
gesehen. Das Dumme ist nur, daß Char jetzt durch die Vorhaltungen der Polizei
ganz durcheinander ist.»
«Das arme Ding», sagte Mavis
mitfühlend. «Aber was ist jetzt eigentlich mit dem Champagner, Matthew? Ich
finde, du solltest die Flasche endlich aufmachen und uns erzählen, was es zu
feiern gibt.»
«Ich hoffe, ihr werdet nicht zu
schlecht von mir denken», sagte Matthew ein wenig verlegen, «besonders, nachdem
wir heute abend wieder soviel von Liz gesprochen haben. Aber sie war so eine
vernünftige, praktisch veranlagte Person — sie würde bestimmt nicht gewollt
haben, daß ich in meiner Trauer versinke.» Er streifte Mr. Pringle mit einem
vorsichtigen Seitenblick, so als rechne er mit Widerspruch.
«Aber nein, natürlich nicht!» sagte
Mavis energisch. «Das brächte sie ja auch nicht wieder zurück. Ich bin sicher,
sie würde wollen, daß du die ganze schreckliche Geschichte möglichst bald
vergißt und dich wieder dem Leben zuwendest — und das wollen dein Onkel und ich
auch.»
«Ich danke Ihnen!» Unter Matthews
Lächeln blühte Mrs. Bignell förmlich auf, und Mr. Pringle wünschte sich, wie
schon so oft, daß er doch dieselbe Wirkung auf Frauen haben möchte. «Mr. und
Mrs. Fairchild sind auch einverstanden», fuhr Matthew fort, «deshalb hoffe ich,
daß ihr uns auch Glück wünscht. Wir wollen nämlich heiraten.»
Nachdem Matthew gegangen war und Mavis
sich von ihrer Überraschung erholt hatte — «Also, das hätte ich nie gedacht, mein Lieber!» —, machten sich die beiden an den Abwasch. Mr. Pringle
war auffallend schweigsam. Mavis erklärte, sie habe noch Durst, und er bot an,
ihr eine Tasse Tee ans Bett zu bringen. Als er ins Zimmer trat, saß sie, zwei
Kissen im Rücken, im Bett und wartete auf ihn. Er reichte ihr die Tasse. Sie
nickte dankend und sagte dann: «Du hast mit so etwas gerechnet, oder?»
«Ja. Enid hat, als sie neulich hier
war, eine ziemlich unverhohlene Andeutung gemacht.»
«Ich finde, sie haben es ein bißchen
sehr eilig. Ich meine, warum mußten sie sich eine Ausnahmegenehmigung holen,
die Zeit des Aufgebots hätten sie doch wirklich noch abwarten können.» Mr.
Pringle schlürfte nachdenklich seinen Tee.
«Möglicherweise wollten sie versuchen,
es vor der Presse geheimzuhalten, obwohl ich nicht glaube, daß ihnen das
gelingen wird. Aber vielleicht ist es ja auch so, wie du neulich sagtest — die
jungen Leute sehen eben manche Dinge anders.»
«Na, von Jungen Leuten» kann ja wohl
kaum die Rede sein», bemerkte sie bissig. «Ist dir nicht aufgefallen, daß es
heute abend dauernd hieß: ‹Ihr Vater wünscht dies, ihr Vater wünscht das.» Wenn
du meine Meinung hören willst, dann war Mr. Fairchild derjenige, der in letzter
Zeit die Entscheidungen getroffen hat.»
«Aber Matthew muß ja wohl einverstanden
gewesen sein. Er ist schließlich kein dummer Junge mehr.»
«Nein, sollte man jedenfalls meinen.»
Mavis stellte ihre Tasse beiseite. «Rutsch mal zu mir rüber, und nimm mich in
den Arm», sagte sie, doch sie war abgelenkt. «Was ist er für ein Mann?»
«Fairchild? Eine wichtige
Persönlichkeit in der City, wie ich gehört habe.» Sie schnaufte verächtlich.
«Mich beunruhigt die Art und Weise, wie
Matthew sich der Familie gegenüber verhält. Er ist so... so...»
«Unterwürfig?»
«Ach nein, das wäre ein zu hartes Wort,
finde ich. Es ist mir nur aufgefallen, daß er offenbar sofort springt, wenn Mr.
Fairchild oder eines der Mädchen etwas von ihm will. Ich frage mich, ob Matthew
— wenn er allein zu entscheiden gehabt hätte — nicht vielleicht doch etwas mit
der Heirat gewartet hätte.»
«Ja, ich glaube, du hast recht. Ohne
Matthew gegenüber unfair zu sein, muß man wohl feststellen, daß die Familie
Fairchild einen starken Einfluß auf ihn ausübt... Soll ich jetzt das Licht
ausmachen?»
Doch in Mavis’ Blut perlte noch der
Champagner. «Nein, laß es an», sagte sie und lächelte verführerisch.
Als er am nächsten Morgen während
seiner rituellen Viertelstunde auf dem Klo noch einmal über die Wendung des
gestrigen Abends nachdachte, spürte er, wie sich sein Unbehagen verstärkte. Und
die Tatsache, daß er gestern die beiden Briefe abgeschickt hatte, trug auch
nicht zu seiner Beruhigung bei. Er ging nach unten, um Mavis vorzuwarnen.
Vielleicht, dachte er verwegen, würde sie ihn seines Mutes wegen bewundern oder
aber
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