Leiche in Sicht
weiblichen
Reiseteilnehmer herunterzurattern und fügte jedesmal hinzu, was sie getragen
hatten. Mr. Pringle tat so, als schriebe er alles Wort für Wort mit, in
Wahrheit jedoch notierte er sich nur, was ihn besonders interessierte. Er ließ
sie reden, drängte sie nicht und fragte auch nicht nach. Als sie fertig war,
sah er sie eindringlich an: «Und du bist dir in allen Punkten ganz sicher?»
«Natürlich», sagte sie beleidigt. «Sie
haben sich alle gräßlich angezogen — mit Ausnahme von Charlotte.»
«Dein Gedächtnis ist phänomenal!» Er
drückte ihr einen Geldschein in die Hand. «Hier — für deine Mühe.» Sie nickte
nur kurz. Als sie gegangen war, bedankte sich Mr. Pringle bei Mr. Christopher.
«Das war schon alles?» Er schien
spektakulärere Enthüllungen erwartet zu haben.
«Ich fürchte, ja. Es hat mir sehr
geholfen.» Als er wieder draußen auf der Straße stand, umgeben vom tosenden
Verkehr, über sich das Dröhnen der Jumbos, war er sich sicher, jetzt die
Antwort zu haben. Er konnte noch immer nichts beweisen, aber jetzt blieb ihm
nichts anderes übrig, als weiterzumachen — bis zum bitteren Ende.
Auf dem Heimweg hielt Mr. Pringle in
einer Seitenstraße an, um noch einmal in aller Ruhe zu überlegen. Was er heute
abend vorhatte, erschien ihm einerseits notwendig, andererseits aber so
melodramatisch, daß er innerlich davor zurückschreckte.
Es war Mittag, die Zeit, zu der die
Kinder aus den Schulen quollen, die kleinen Läden der Umgebung stürmten und
versuchten, die Verkäufer durch irgendeinen Unsinn abzulenken, so daß ein paar
fingerfertige Kameraden ungesehen einige Süßigkeiten mitgehen lassen konnten.
Mr. Pringle folgte einem Grüppchen in einen Schreibwarenladen, holte sich dort
einen Block und zwei Päckchen mit verschieden großen Briefumschlägen aus dem
Regal und stellte sich an der Kasse an.
Als er wieder im Auto saß, hatte er
aufs neue das Gefühl, sich lächerlich zu machen. Was er vorhatte, war
folgendes: Er wollte einen Bericht schreiben, in dem er darlegte, wie Elizabeth
seiner Meinung nach zu Tode gekommen war. Diesen Bericht würde er in einen
Umschlag stecken, der an den Direktor seiner Bank adressiert war (den er
persönlich nie zu Gesicht bekommen hatte). Ein zweites Kuvert würde er an Mrs.
Bignell adressieren. Dieses sollte den verschlossenen Umschlag sowie ein kurzes
Begleitschreiben enthalten, in dem er sie bat, ersteren an einem sicheren Ort
zu deponieren, niemandem davon zu erzählen und ihn im Fall seines Todes bei der
Bank abzugeben. Er war versucht hinzuzufügen, sie möge ihn — wenn der Fall
eintrete — bei der zweiten Kassiererin von links abgeben — das war eine nette,
mütterliche Frau, die ihn seit Jahren kannte und vielleicht so etwas wie Trauer
spüren würde bei seinem vorzeitigen Ableben... Doch dann rief er sich energisch
zur Ordnung. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, sentimental zu werden! Er begann
mit der Niederschrift seines Berichts. In einfachen Sätzen schilderte er, wie
sich der Tod Elizabeths, seiner Meinung nach, ereignet hatte. Leider könne er
im Moment nicht mehr als ein Beweisstück beifügen, doch wisse er, wo weitere zu
finden sein müßten — zu gegebener Zeit. Sein Schreiben an den Bankdirektor war
kurz, der Brief an Mavis geradezu wortkarg. Falls es dazu kam, daß er vor
Gericht verlesen würde, wollte er sie nicht durch irgendwelche unnötigen
Details in Verlegenheit bringen. Als er mit allem fertig war, machte er sein
Portemonnaie auf— er hatte keine Briefmarken mehr!
Die Schlange am Postschalter war lang
genug, daß er Zeit hatte, sein Leben noch einmal Revue passieren zu lassen. Als
er dann endlich an der Reihe war, entschied er, den Brief an Mavis nicht per
Expreß zu schicken. Es war ihm nur recht, wenn er noch ein paar Tage hatte, um
weiter zu recherchieren, bevor sie ihn erhielt. Vielleicht konnte er so
vermeiden, sich vor ihr lächerlich zu machen.
Am Briefkasten zögerte er ein letztes
Mal. Es würde sich doch bestimmt eine Gelegenheit finden, ihn Mavis selbst zu
geben. Dann erinnerte er sich, wie es Roge ergangen war. Und die Polizei war
dabei, sämtliche Reiseteilnehmer ein zweites Mal zu vernehmen — die Zeit
drängte. Vorsicht ist besser als Nachsicht, dachte er und warf den Brief mit
einem Seufzer ein.
Es war schon sehr spät, als er
schließlich in seine Straße einbog. Vor dem Haus erkannte er Matthews Mini.
Mavis begrüßte ihn mit strahlenden Augen: «Schön, daß du da bist. Das Essen ist
fast
Weitere Kostenlose Bücher