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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Wunde, doch Norris gelang es, sein Lächeln zu wahren. »Das ist sie gewiss.«
    »Eliza, du erinnerst dich doch an Sophie, nicht wahr?«, sagte Grenville.
    »Aber ja. Sie hat uns oft in Weston besucht.«
    »Mr. Marshall ist ihr Sohn.«
    Elizas Blick schnellte zu Norris zurück, und sie fixierte ihn mit plötzlicher Intensität, als hätte sein Gesicht in ihr eine Erinnerung geweckt. »Sie sind Sophias Junge.«
    »Ja, Ma’am.«
    »Ach, Ihre Mutter hat uns ja seit Jahren nicht mehr besucht, nicht seit dem Tod unserer armen Abigail. Es geht ihr doch hoffentlich gut?«
    »Sehr gut, Mrs. Lackaway«, antwortete er, doch er merkte selbst, dass er nicht sonderlich überzeugt klang.
    Grenville klopfte ihm auf den Rücken. »Gehen Sie und amüsieren Sie sich. Die meisten Ihrer Kommilitonen sind schon da und haben sich bereits über den Champagner hergemacht.«
    Norris betrat den Ballsaal und hielt inne, geblendet von dem Anblick. Junge Damen flatterten in schmetterlingsbunten Abendkleidern vorüber. An der Decke glitzerte ein gewaltiger Kerzenleuchter, und überall sah man Kristall funkeln. Auf einer langen Tafel entlang der Wand war eine üppige Auswahl an Speisen aufgebaut. So viele Austern, so viel Gebäck! Er hatte noch nie einen Fuß in einen so prächtigen Saal gesetzt, mit diesen erlesenen Einlegearbeiten im Parkett und
den gemeißelten Säulen. Wie er so dastand in seinem abgeschabten Rock und den rissigen Schuhen, hatte er das Gefühl, sich in die Fantasiewelt eines anderen verirrt zu haben – gewiss nicht seine eigene, denn einen Abend wie diesen hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können.
    »Endlich bist du da! Ich habe mich schon gefragt, ob du überhaupt noch kommst.« Wendell trat mit zwei Gläsern Champagner auf Norris zu und drückte ihm eines in die Hand. »Ist es wirklich so schrecklich, wie du befürchtet hast? Bist du schon von irgendjemandem geschnitten, beleidigt oder anderweitig brüskiert worden?«
    »Nach allem, was passiert ist, war ich mir nicht sicher, wie man mich hier empfangen würde.«
    »Die letzte Ausgabe der Gazette dürfte dich vollständig entlasten. Hast du schon die neueste Meldung gelesen? Dr. Berry ist in Providence gesehen worden.«
    Nun, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, die in der Stadt umliefen, hielt sich der flüchtige Dr. Nathaniel Berry an einem Dutzend Orte gleichzeitig versteckt, von Philadelphia bis Savannah.
    »Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass er es gewesen sein soll«, sagte Norris. »So etwas hätte ich ihm niemals zugetraut.«
    »Ist das nicht oft der Fall? Mörder kann man in den seltensten Fällen an ihren Hörnern und Reißzähnen erkennen. Sie sehen aus wie du und ich.«
    »Ich habe in ihm nur einen tüchtigen Arzt gesehen.«
    »Diese Prostituierte behauptet etwas anderes. Laut Gazette ist das Mädchen seelisch so erschüttert, dass schon zu Spenden für sie aufgerufen wurde. Sogar ich muss in diesem Fall dem albernen Mr. Pratt beipflichten. Dr. Berry muss der Reaper sein. Und wenn es nicht Dr. Berry ist, dann gibt es, fürchte ich, nur einen anderen Verdächtigen.« Wendell beäugte Norris über sein Champagnerglas hinweg. »Nämlich dich.«
    Wendells Blick machte Norris so nervös, dass er sich abwandte und im Saal umsah. Wie viele der Gäste unterhielten
sich in diesem Moment im Flüsterton über ihn? Auch nach Dr. Berrys Verschwinden waren gewiss noch nicht alle Zweifel an Norris ausgeräumt.
    »Was ziehst du denn für ein Gesicht?«, fragte Wendell. »Soll das etwa eine schuldbewusste Miene sein?«
    »Ich frage mich, wie viele in diesem Raum mich immer noch für schuldig halten.«
    »Grenville hätte dich nicht eingeladen, wenn er irgendwelche Zweifel hätte.«
    Norris zuckte mit den Achseln. »Die Einladung ist an alle Studenten gegangen.«
    »Du weißt ja, warum, oder? Sieh dich mal um.«
    »Was soll ich da sehen?«
    »All die jungen Damen, die auf der Suche nach einem Ehemann sind. Ganz zu schweigen von ihren verzweifelten Müttern. Du siehst ja, dass es nicht genug Medizinstudenten für alle gibt.«
    Darüber musste Norris lachen. »Da musst du ja im siebten Himmel sein.«
    »Wenn das hier wirklich der Himmel wäre, dann gäbe es nicht so viele Mädchen, die größer sind als ich.« Er bemerkte, dass Norris’ Blick nicht auf den Mädchen, sondern auf dem Büfett ruhte. »Ich schätze mal, im Moment ist die holde Weiblichkeit nicht deine oberste Priorität.«
    »Nein, viel eher dieser saftig aussehende

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