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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ist um sein Leben geflohen.«
    »Geflohen vor wem? Vor diesen mysteriösen Leuten?«
    »Sie glauben mir kein Wort, nicht wahr?«
    »Ich verstehe einfach nicht, was Sie sagen.«
    Sie wandte sich zu ihm um. Unter der Kapuze blitzten ihre Augen im Licht, das von den Schneeflocken reflektiert wurde. »An dem Tag, als ich meine Schwester begrub, kam Mary Robinson zu mir auf den Friedhof. Sie fragte mich nach dem Baby. Sie sagte mir, ich sollte gut auf sie aufpassen und sie versteckt halten.«
    »Sie meinte das Kind Ihrer Schwester?«
    »Ja.« Rose schluckte. »Ich habe Mary nie wieder gesehen. Das Nächste, was ich hörte, war, dass sie tot war. Und dass Sie es waren, der sie gefunden hatte.«
    »Was ist die Verbindung zwischen diesen Morden und Ihrer Nichte? Ich kann keine erkennen.«

    »Ich glaube, dass ihre bloße Existenz für irgendjemanden eine Bedrohung darstellt. Sie ist der lebende Beweis für irgendein skandalöses Geheimnis.« Sie blickte sich um und suchte die dunkle Straße ab. »Sie jagen uns. Sie haben mich aus meiner Unterkunft vertrieben. Ich kann nicht mehr zu meiner Arbeitsstelle zurückgehen, und deshalb kann ich die Amme nicht bezahlen. Ich wage mich ja nicht einmal in die Nähe ihrer Tür, aus Angst, sie könnten mich dort sehen.«
    »Sie? Diese skrupellosen Leute, von denen Sie sprachen?«
    »Sie sind hinter ihr her. Aber ich werde sie nicht hergeben, nicht um alles in der Welt.« Sie wandte sich zu ihm um, und ihre Augen loderten in der Dunkelheit. »In den Händen dieser Leute, Mr. Marshall, würde sie vielleicht nicht lange leben.«
    Das Mädchen hat den Verstand verloren . Er starrte ihr in die Augen und fragte sich, ob so der Wahnsinn aussah. Er erinnerte sich daran, wie er sie kürzlich in ihrem elenden Logierhaus besucht hatte, als er noch geglaubt hatte, Rose Connolly sei eine kluge, besonnene Überlebenskünstlerin. Seitdem musste etwas geschehen sein, was sie in den Wahnsinn getrieben hatte, in eine Welt voller eingebildeter Feinde.
    »Es tut mir leid, Miss Connolly, ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte«, sagte er und begann zurückzuweichen. Er machte kehrt und eilte in Richtung seiner Wohnung davon, durch den flockigen Schnee, in dem seine Schuhe parallele Furchen hinterließen.
    »Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich dachte, Sie wären anders. Besser. «
    »Ich bin nur ein einfacher Student. Was kann ich schon tun?«
    »Es ist Ihnen gleich, nicht wahr?«
    »Die West-End-Morde sind aufgeklärt. Es steht alles in den Zeitungen.«
    »Sie wollen Sie glauben machen, dass sie aufgeklärt seien.«

    »Das liegt in der Verantwortung der Nachtwache, nicht in meiner.«
    »Es war Ihnen aber nicht gleichgültig, als Sie derjenige waren, den man beschuldigte.«
    Er ging weiter und hoffte, dass sie es irgendwann müde sein würde, ihm nachzulaufen. Doch sie heftete sich an seine Fersen wie ein lästiger Hund, als er am Charles River entlang Richtung Norden marschierte.
    »Jetzt, da Sie aus der Sache heraus sind, ist alles wunderbar, nicht wahr?«, sagte sie.
    »Ich bin nicht befugt, in dieser Sache weitere Nachforschungen anzustellen.«
    »Sie haben die Kreatur mit eigenen Augen gesehen . Sie haben die Leiche der armen Mary gefunden.«
    Er sah sie an. »Und wissen Sie auch, dass ich wegen dieser Geschichte um ein Haar meinen Platz am College verloren hätte? Ich wäre verrückt, wenn ich neue Fragen über diese Morde aufwerfen würde. Ein paar Gerüchte genügen, und ich könnte alles verlieren, wofür ich gearbeitet habe. Dann wäre ich wieder zurück auf der Farm meines Vaters!«
    »Ist es denn so furchtbar, ein Farmer zu sein?«
    »Ja! Denn ich habe sehr viel ehrgeizigere Pläne.«
    »Und nichts darf diese Pläne durchkreuzen«, bemerkte sie bitter.
    Er blickte in die Richtung von Dr. Grenvilles Haus, dachte an den Champagner, den er dort getrunken hatte, die elegant gekleideten Mädchen, mit denen er getanzt hatte. Einst waren seine Ziele sehr viel bescheidener gewesen. Sich die Dankbarkeit seiner Eltern zu verdienen. Die Befriedigung zu erleben, ein Kind den Klauen einer tödlichen Krankheit entrissen zu haben. Aber an diesem Abend in Dr. Grenvilles Haus hatten sich ihm Perspektiven eröffnet, von denen er nie zu träumen gewagt hatte; eine Welt des Luxus, die eines Tages die seine werden könnte, wenn er alles richtig machte, wenn er sich keine Fehltritte erlaubte.
    »Ich dachte, es wäre Ihnen auch wichtig«, sagte sie. »Aber
jetzt erkenne ich, dass für Sie nur eines zählt: Ihre

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