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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sie von ihrer Ururgroßmutter Margaret Page geerbt, die anscheinend auch nichts hatte wegwerfen können. Da waren alte Nummern der Boston Post und des Evening Transcript sowie ausgeschnittene Rezepte, so brüchig, dass sie bei der ersten Berührung zerfielen. Und dazu Briefe, Dutzende von Briefen, alle an Margaret adressiert. Nachdem Julia einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören, bis sie auch den letzten gelesen hatte, so fasziniert war sie von diesem Einblick in das Leben einer Frau, die vor über hundert Jahren in ihrem Haus gewohnt hatte, die über dieselben Böden gegangen, dieselben Treppen hinaufgestiegen war wie sie. Dr. Margaret Tate Page hatte ein langes und bewegtes Leben gehabt, wenn man nach den Briefen urteilte, die sie im Lauf der Jahre angesammelt hatte. Und was für Briefe! Sie kamen von angesehenen Medizinern aus aller Welt und von Enkelkindern auf Reisen in Europa, die ihrer geliebten Großmutter die Mahlzeiten beschrieben, die ihnen serviert wurden, die Kleider, die man dort trug, und den Klatsch, den sie aufschnappten. Wie schade, dass heute niemand mehr die Zeit hat, solche Briefe zu schreiben, dachte Julia, während sie die
Schilderung eines Techtelmechtels verschlang, das eine der Enkelinnen erlebt hatte. Wenn ich einmal hundert Jahre tot bin, wer wird dann noch irgendwas über mich wissen?
    »Ist etwas Interessantes dabei?«, fragte Tom. Erschrocken registrierte sie, dass er direkt hinter ihr stand und ihr über die Schulter blickte.
    »Für Sie dürfte das alles hochinteressant sein«, antwortete sie, wobei sie sich auf den Brief zu konzentrieren versuchte und nicht auf seine Hand, die auf der Stuhllehne ruhte. »Es geht schließlich um Ihre Familie.«
    Er ging um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. »Sind Sie wirklich wegen dieses alten Skeletts hier?«
    »Denken Sie, es gibt noch einen anderen Grund?«
    »Sie opfern doch viele Stunden von Ihrer eigenen Lebenszeit, um diese ganzen Kartons zu durchwühlen und all die Briefe zu lesen.«
    »Sie wissen ja nicht, wie mein Leben zurzeit aussieht«, sagte sie, den Blick starr auf die Dokumente vor sich gerichtet. »Das hier war eine willkommene Abwechslung.«
    »Sie sprechen von Ihrer Scheidung, nicht wahr?« Als sie ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Henry hat mir davon erzählt.«
    »Dann hat er Ihnen eindeutig zu viel erzählt.«
    »Ich bin verblüfft, wie viel er an einem einzigen Wochenende über Sie in Erfahrung gebracht hat.«
    »Er hat mich betrunken gemacht. Und ich habe geredet.«
    »Dieser Mann, mit dem ich Sie letzte Woche in Ihrem Garten gesehen habe – war das Ihr Exmann?«
    Sie nickte. »Richard.«
    »Es klang nicht gerade nach einer freundlichen Unterhaltung, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
    Sie ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken. »Ich bin mir nicht sicher, ob geschiedene Eheleute zu einem freundlichen Umgang fähig sind.«
    »Es sollte doch möglich sein.«
    »Sprechen Sie aus persönlicher Erfahrung?«

    »Ich war nie verheiratet. Aber ich denke mir, dass die enge Bindung zwischen zwei Menschen, die sich einmal geliebt haben, nie ganz verloren gehen kann, ganz gleich, was alles schieflaufen mag.«
    »O ja, das klingt gut, nicht wahr? Ewige Liebe.«
    »Sie glauben nicht daran.«
    »Vor sieben Jahren, als ich geheiratet habe, da habe ich vielleicht daran geglaubt. Jetzt denke ich, dass Henrys Philosophie die richtige ist: Single bleiben und stattdessen gute Weine sammeln. Oder sich einen Hund zulegen.«
    »Oder einen Garten anlegen?«
    Sie legte den Brief hin, den sie zu lesen begonnen hatte, und sah ihn an. »Ja. Einen Garten anlegen. Es ist besser, etwas wachsen zu sehen, als mitzuerleben, wie etwas stirbt.«
    Tom lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wissen Sie was, wenn ich Sie so vor mir sehe, habe ich ein ganz merkwürdiges Gefühl.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe das Gefühl, dass wir uns schon einmal irgendwo begegnet sind.«
    »Sind wir auch. In meinem Garten.«
    »Nein, davor. Ich schwöre es, ich erinnere mich an Sie.«
    Sie starrte in seine Augen, in denen sich das flackernde Kaminfeuer spiegelte. So ein attraktiver Mann wie du? Oh, daran würde ich mich bestimmt auch erinnern.
    Er betrachtete den Stapel Dokumente. »Na ja, ich denke, ich sollte Ihnen wohl lieber ein bisschen zur Hand gehen, anstatt Sie dauernd abzulenken.« Er griff nach den obersten Blättern. »Sie sagen, wir suchen nach Hinweisen auf Rose Connolly?«
    »Legen Sie los. Sie gehört immerhin zu

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