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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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davongetragen vom Wind, so schnell, dass er nicht hoffen konnte, sie einzuholen. »Warte auf mich«, hauchte er. Er hörte etwas, das wie ein ferner Donnerschlag klang, ein einzelner Schuss, der durch die hereinbrechende Finsternis hallte.
    Warte auf mich.
     
    Jack Burke riss die Bodendiele in seinem Schlafzimmer hoch und schaufelte hektisch das Geld heraus, das er darunter versteckt hatte. Die gesamten Ersparnisse seines Lebens, annähernd zweitausend Dollar, fielen rasselnd in die Satteltasche.
    »Was willst du mit dem ganzen Geld? Bist du verrückt geworden?«, rief Fanny.
    »Ich haue ab.«
    »Du kannst dir nicht alles nehmen! Das gehört auch mir!«
    »Über deinem Kopf baumelt schließlich keine Schlinge.« Plötzlich ruckte sein Kinn in die Höhe, und er erstarrte.
    Jemand hämmerte unten an die Tür. »Mr. Burke! Mr. Burke, hier ist die Nachtwache. Sie machen jetzt sofort die Tür auf!«
    Fanny schickte sich an, nach unten zu gehen.
    »Nein!«, sagte Jack. »Lass sie nicht rein!«

    Sie musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Was hast du angestellt, Jack? Warum sind sie gekommen, um dich zu holen?«
    Unten donnerte die Stimme: »Wir brechen die Tür auf, wenn Sie uns nicht hereinlassen!«
    »Jack?«, fragte Fanny.
    » Sie hat’s getan!«, sagte Jack. » Sie hat den Jungen umgebracht, nicht ich!«
    »Welchen Jungen?«
    »Den einfältigen Billy.«
    »Dann soll sie am Galgen baumeln!«
    »Sie ist tot. Hat sich die Pistole geschnappt und sich vor allen Leuten eine Kugel in den Kopf gejagt.« Er stand auf und warf die schwere Satteltasche über die Schulter. »Und mir werden sie alles in die Schuhe schieben. Alles, wofür sie mich bezahlt hat.« Er ging zur Treppe. Zur Hintertür will er sich rausstehlen, dachte sie. Einfach das Pferd gesattelt und ab. Wenn er ein paar Minuten Vorsprung herausholte, könnte er sie in der Dunkelheit abschütteln. Bis zum Morgen wäre er schon über alle Berge.
    Die Haustür flog mit einem Krachen auf. Jack blieb wie angewurzelt am Fuß der Treppe stehen, als drei Männer in die Stube stürmten.
    Einer der drei trat vor und sagte: »Ich verhafte Sie, Mr. Burke, wegen des Mordes an Billy Piggott und des versuchten Mordes an Rose Connolly.«
    »Aber ich habe nicht – das war ich nicht! Es war Mrs. Lackaway!«
    »Meine Herren, nehmen Sie ihn fest.«
    Jack wurde so grob nach vorn gerissen, dass er strauchelte und in die Knie ging, wobei er die Satteltasche fallen ließ. Sofort sprang Fanny hinzu und schnappte sie sich. Die Tasche mit dem kostbaren Inhalt an die Brust gedrückt, wich sie gleich wieder zurück. Während die Nachtwache ihren Mann auf die Füße hievte, machte sie keine Anstalten, ihm zu helfen, und kein Wort zu seiner Verteidigung kam ihr über die
Lippen. Das war das Letzte, was er von Fanny sah: wie sie seine Ersparnisse gierig an sich raffte und mit ruhiger, unbewegter Miene zusah, wie er aus der Schenke herausgeführt wurde.
    Als er in der Kutsche saß, war Jack bereits klar, wie alles ablaufen würde. Nicht nur der Prozess, nicht nur der Galgen, sondern auch das, was danach kam. Er wusste, wo die Leichen hingerichteter Straftäter unweigerlich endeten. Er dachte an das Geld, das er so gewissenhaft gespart hatte, alles für seinen kostbaren Bleisarg mit dem Eisenkäfig und für den Grabwächter, alles nur, um die Bemühungen von Leichenräubern, wie er selbst einer war, zu vereiteln. Vor langer Zeit hatte er sich geschworen, dass kein Anatom je seinen Bauch aufschlitzen, seinen Leichnam zerhacken würde.
    Jetzt sah er auf seine eigene Brust hinunter und schluchzte unwillkürlich auf. Schon konnte er spüren, wie das Skalpell sich durch seine Haut bohrte.
     
    Es war ein Haus der Trauer und ein Haus der Schande.
    Wendell Holmes war sich bewusst, dass er den Grenville’schen Haushalt in seinem privaten Schmerz störte, doch er machte keine Anstalten zu gehen, und niemand forderte ihn dazu auf. Dr. Grenville schien nicht einmal zu registrieren, dass Wendell anwesend war und still in einer Ecke des Salons saß. Wendell war von Anfang an in diese Tragödie verwickelt gewesen, und es war nur passend, dass er auch jetzt zugegen war und den letzten Akt miterlebte. Was er im flackernden Schein des Kaminfeuers sah, war ein gebrochener Aldous Grenville, der in seinen Sessel versunken dasaß, den Kopf in tiefem Gram gesenkt. Constable Lyons hatte ihm gegenüber Platz genommen.
    Mrs. Furbush, die Haushälterin, betrat zaghaft den Salon, in der Hand ein Tablett mit Brandy,

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