Leichenraub
Marshalls Dienste in Anspruch genommen. Fünf Dollar werden für seine Studiengebühren gutgeschrieben. Macht zusammen zwanzig.«
»Ich weiß verdammt gut, was das zusammen macht«, brummte Jack, während er das Geld in seine Tasche stopfte. »Und für das, was ich liefere, ist das bei Weitem nicht genug.«
»Ich bin sicher, dass ich einen anderen Leichenräuber finden kann, der hochzufrieden ist mit dem, was ich zahle.«
»Aber niemand wird sie Ihnen so frisch liefern. Da kriegen sie nur halb verfaultes Fleisch, das von Würmern wimmelt.«
»Zwanzig Dollar pro Exemplar, mehr zahle ich nicht. Ob Sie einen Gehilfen brauchen oder nicht, ist Ihre Entscheidung. Aber ich bezweifle, dass Mr. Marshall ohne angemessene Entschädigung arbeiten wird.«
Jack warf Norris einen bösen Blick zu. »Er ist bloß mein
Mann fürs Grobe. Ich bin derjenige, der weiß, wo man sie findet.«
»Dann finden Sie sie weiter für mich.«
»Oh, ich werde immer was für Sie haben, keine Sorge.« Jack wandte sich zum Gehen. In der Tür blieb er stehen und wandte sich widerwillig zu Norris um. »Im Black Spar, Donnerstagabend, sieben Uhr«, sagte er knapp und verschwand. Sie hörten seine polternden Schritte auf der Treppe, dann fiel die Haustür ins Schloss.
»Gibt es niemanden sonst, an den Sie sich wenden können?«, fragte Norris. »Der Kerl ist der übelste Abschaum.«
»Aber das sind die Leute, mit denen wir gezwungen sind zu arbeiten. Alle Leichenräuber sind gleich. Wenn unsere Gesetze aufgeklärter wären, dann wäre für solches Gesindel wie ihn nichts zu holen. Aber bis es so weit ist, müssen wir mit Mr. Burke und seinesgleichen vorlieb nehmen.« Sewall trat wieder an den Tisch und blickte auf das Mädchen. »Immerhin schafft er es, uns brauchbare Leichen zu liefern.«
»Ich würde jede Art von Beschäftigung dieser vorziehen, Dr. Sewall.«
»Sie wollen doch Arzt werden, nicht wahr?«
»Ja, aber mit diesem Mann arbeiten zu müssen. Gibt es denn keine anderen Aufgaben, die ich übernehmen könnte?«
»Es gibt keine dringlichere Aufgabe für unser College als die Beschaffung von Studienexemplaren.«
Norris blickte auf das Mädchen herab. Und sagte leise: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich je als Studienexemplar gesehen hat.«
»Wir sind alle Studienexemplare, Mr. Marshall. Ohne die Seele ist ein Körper wie der andere. Herz, Lunge, Nieren. Unter ihrer Haut ist auch eine so reizende junge Dame wie diese hier nicht anders als alle anderen. Es ist natürlich immer eine Tragödie, wenn ein Mensch so jung sterben muss.« Mit einem Ruck zog Dr. Sewall die Plane über den Leichnam, und das Tuch senkte sich sanft auf die schlanke Gestalt des Mädchens. »Aber im Tod wird sie einem edleren Zweck dienen.«
4
Rose wurde von einem Stöhnen geweckt. Irgendwann in der Nacht war sie auf dem Stuhl an Aurnias Bett eingeschlafen. Jetzt hob sie den Kopf und sah plötzlich, dass die Augen ihrer Schwester offen waren, ihr Gesicht schmerzverzerrt.
Rose richtete sich auf. »Aurnia?«
»Ich halte das nicht länger aus. Wenn ich doch nur sterben könnte.«
»Sag so was nicht, mein Herz.«
»Das Morphium – es bringt mir keine Linderung.«
Da fiel Roses Blick auf Aurnias Bettdecke. Auf den frischen Blutfleck. Erschrocken sprang sie auf. »Ich hole eine Schwester.«
»Und den Pfarrer, Rose. Bitte.«
Rose eilte aus dem Krankensaal. Der schwache Schein von Öllampen kämpfte gegen die Dunkelheit an, und die Flammen flackerten, als sie vorbeilief. Als sie mit Schwester Robinson und Schwester Poole an das Bett von Aurnia zurückkehrte, hatte sich der Fleck auf ihrer Decke schon zu einem breiten, leuchtend roten Streifen ausgeweitet. Mrs. Poole warf nur einen entsetzten Blick auf das Blut und herrschte die andere Schwester an: »Wir bringen Sie sofort in den Operationssaal!«
Es blieb keine Zeit mehr, Dr. Crouch zu holen; stattdessen wurde der junge Assistenzarzt Dr. Berry, der sein Zimmer auf dem Gelände des Spitals hatte, geweckt. Das blonde Haar zerzaust, die Augen blutunterlaufen, wankte Dr. Berry schlaftrunken in den Operationssaal, in den man Aurnia eilends gebracht hatte. Als er die starke Blutung sah, wurde er kreidebleich.
»Wir müssen uns beeilen!«, sagte er und begann in seiner
Instrumententasche zu kramen. »Die Gebärmutter muss entleert werden. Möglicherweise müssen wir das Kind opfern.«
Aurnia stieß einen gequälten Protestschrei aus. »Nein! Nein, mein Baby muss am Leben bleiben!«
»Halten Sie sie fest«,
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