Leichenraub
befahl er. »Das wird sehr schmerzhaft.«
»Rose«, flehte Aurnia. »Lass nicht zu, dass er mein Kind tötet!«
»Miss Connolly, verlassen Sie den Raum!«, fuhr Agnes Poole sie an.
»Nein, wir werden sie brauchen«, sagte Dr. Berry.
»Wir sind doch zu zweit – das reicht, um die Patientin festzuhalten.«
»Wenn ich erst anfange, könnte es sein, dass nicht einmal Sie und Schwester Robinson zusammen stark genug sind.«
Aurnia wand sich, als eine neue Wehe sie erfasste, und ihr Stöhnen schwoll zu einem Schrei an. »O Gott, diese Schmerzen!«
»Binden Sie ihre Hände fest, Miss Poole«, befahl Dr. Berry. Er sah Rose an. »Und Sie, Mädchen! Sie sind ihre Schwester?«
»Ja, Sir.«
»Kommen Sie her und beruhigen Sie sie. Und helfen Sie mit, sie festzuhalten, wenn es sein muss.«
Zitternd trat Rose ans Bett. Der Eisengeruch des Bluts war überwältigend. Die klatschnasse Matratze glänzte hellrot, und Aurnias blutverschmierte Schenkel waren gänzlich entblößt, jeder Versuch, ihre Sittsamkeit zu wahren, in der drängenden Sorge um ihr Überleben gänzlich vergessen. Ein Blick in Dr. Berrys aschfahles Gesicht verriet Rose, dass die Lage bitterernst war. Und er war so jung – gewiss zu jung, um eine solche Krise zu bewältigen, mit dem blassen Bartflaum, der seine Oberlippe zierte. Bald lagen seine chirurgischen Instrumente wild auf dem niedrigen Tischchen verstreut, während er hektisch nach dem richtigen Werkzeug suchte. Das Instrument, nach dem er schließlich griff, war eine Furcht einflößende
Vorrichtung, dem Anschein nach wie geschaffen zum Verstümmeln und Zermalmen.
»Tun Sie meinem Baby nicht weh!«, stöhnte Aurnia. »Bitte!«
»Ich werde versuchen, das Leben Ihres Kindes zu retten«, sagte Dr. Berry. »Aber dazu müssen Sie ganz still liegen, Madam. Haben Sie mich verstanden?«
Aurnia brachte ein schwaches Nicken zustande.
Die beiden Schwestern banden Aurnias Hände fest und stellten sich sodann zu beiden Seiten des Bettes auf. Jede fasste ein Bein der Patientin.
»Sie, Mädchen! Fassen Sie ihre Schultern«, wies Schwester Poole Rose an. Das milchweiße Gesicht ihrer Schwester starrte zu ihr auf, umwallt von ihrem feuerroten Haar, die grünen Augen wild vor Panik. Angstschweiß glitzerte auf Aurnias Haut. Plötzlich verzerrten sich ihre Züge vor Schmerz, sie versuchte sich verzweifelt aufzurichten und hob den Kopf von der Matratze.
»Halten Sie sie still! Halten Sie sie!«, befahl Dr. Berry. Er nahm seine riesige Zange und bückte sich zwischen Aurnias Schenkel. Rose war froh, dass sie nicht mit ansehen musste, was er als Nächstes tat. Aurnia schrie, als würde ihr die Seele aus dem Leib gerissen. Plötzlich spritzte ein roter Schwall dem jungen Arzt ins Gesicht, und er prallte mit blutbespritztem Hemd zurück.
Aurnias Kopf fiel kraftlos auf das Kissen zurück, und dann lag sie nur schwer atmend da, während ihre Schreie zu einem Wimmern erstarben. In der jähen Stille war plötzlich ein anders Geräusch zu hören. Ein merkwürdiges Miauen, das nach und nach zu einem Heulen anschwoll.
Das Kind! Das Kind lebt!
Der Arzt richtete sich auf, und im Arm hielt er das neugeborene Mädchen, dessen bläuliche Haut mit Blut beschmiert war. Er übergab es an Schwester Robinson, die den schreienden Säugling rasch in ein Tuch wickelte.
Rose starrte das Hemd des Doktors an. So viel Blut. Wo sie
auch hinschaute, überall sah sie Blut – auf der Matratze, auf den Laken. Sie blickte ins Gesicht ihrer Schwester und sah, dass ihre Lippen sich bewegten, doch bei dem Geschrei des Neugeborenen konnte sie die Worte nicht verstehen.
Schwester Robinson brachte Aurnia den gewickelten Säugling ans Bett. »Da ist ihr kleines Töchterchen, Mrs. Tate. Sehen Sie nur, wie entzückend es ist!«
Aurnia schien Mühe zu haben, ihre neugeborene Tochter zu erkennen. »Margaret«, hauchte sie, und Rose brannten plötzlich Tränen in den Augen. Es war der Name ihrer Mutter. Wenn sie doch noch am Leben wäre und ihr erstes Enkelkind sehen könnte.
»Sag es ihm«, flüsterte Aurnia. »Er weiß es noch nicht.«
»Ich werde nach ihm schicken. Ich sorge dafür, dass er kommt«, erwiderte Rose.
»Du musst ihm sagen, wo ich bin.«
»Er weiß, wo du bist.« Eben kann sich bloß nicht zu einem Besuch aufraffen.
»Die Blutung ist zu stark.« Dr. Berry schob die Hand zwischen Aurnias Schenkel, doch sie war schon so benommen, dass der Schmerz sie kaum zusammenzucken ließ. »Aber ich kann keine Plazentaretention tasten.« Er
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