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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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fegte seine blutigen Instrumente beiseite, und die Zange landete scheppernd auf dem Boden. Dann legte er die Hände auf Aurnias Unterleib und knetete das Gewebe kräftig durch. Immer noch tränkte frisches Blut die Laken, größer und größer wurde der Fleck. Dr. Berry blickte auf, und in seinen Augen blitzten die ersten Anzeichen von Panik auf. »Kaltes Wasser!«, befahl er. »So kalt, wie es nur geht! Wir brauchen Kompressen. Und Mutterkorn!«
    Schwester Robinson legte das gewickelte Kind in das Bettchen und eilte aus dem Saal, um das Verlangte zu besorgen.
    »Er weiß es nicht«, stöhnte Aurnia.
    »Sie muss unbedingt still liegen!«, mahnte Dr. Berry. »Sie verschlimmert sonst die Blutung!«
    »Bevor ich sterbe, muss jemand ihm sagen, dass er ein Kind hat …«

    Die Tür flog auf, und Schwester Robinson stürzte wieder herein, in den Händen eine Schüssel mit Wasser. »Es ist ganz kalt, wie Sie befohlen haben, Dr. Berry«, sagte sie.
    Der Arzt tauchte ein Handtuch ins Wasser, wrang es aus und legte die eiskalte Kompresse auf den Unterleib der Patientin. »Geben Sie ihr das Mutterkorn!«
    In der Wiege schrie das Neugeborene jetzt lauter; mit jedem Atemzug wurde sein Geheul durchdringender. Plötzlich platzte Schwester Poole heraus: »Um Himmels willen, schafft das Baby hier raus!« Schwester Robinson wollte schon nach dem Säugling greifen, doch Schwester Poole fuhr sie an: »Nicht du! Dich brauche ich hier. Gib es ihr !« Sie sah Rose an. »Nehmen Sie Ihre Nichte und sorgen Sie dafür, dass sie sich beruhigt. Wir müssen uns um Ihre Schwester kümmern!«
    Rose nahm den schreienden Säugling und ging widerstrebend zur Tür. Dort blieb sie stehen und blickte sich zu ihrer Schwester um. Aurnias Lippen waren jetzt noch blasser, der letzte Rest von Farbe schien aus ihrem Gesicht zu weichen, während sie unhörbare Worte flüsterte.
    Bitte, lieber Gott, sei barmherzig. Wenn du mein Gebet hörst, lass meine gute Schwester nicht sterben.
    Rose verließ den Saal. Draußen in dem düsteren Gang wiegte sie das weinende Kind, doch es wollte sich einfach nicht trösten lassen. Rose steckte den Finger in Margarets kleines Mündchen, und sofort bissen die zahnlosen Kiefer zu, und die Kleine begann zu saugen. Endlich war Ruhe. Ein kalter Luftzug hatte den Weg in den dunklen Korridor gefunden, und schon zwei der Lampen waren erloschen. Jetzt brannte nur noch eine einsame Flamme. Rose starrte die geschlossene Tür an, getrennt von der einzigen Menschenseele, die ihr lieb und teuer war.
    Nein – jetzt gibt es noch jemanden, dem ich meine Liebe schenken kann, dachte sie und sah auf die kleine Margaret herab. Dich .
    Sie stellte sich unter die eine flackernde Lampe und studierte
das helle, flaumige Haar des Babys. Die Augenlider waren noch von den Anstrengungen der Geburt geschwollen. Rose begutachtete die fünf winzigen Finger und staunte über die Vollkommenheit dieser kleinen, rundlichen Hand, deren einziger Makel ein herzförmiges Muttermal am Handgelenk war. So also fühlt sich neues Leben an, dachte sie, in die Betrachtung des schlafenden Säuglings versunken. So rosig, so warm. Sie legte eine Hand auf die kleine Brust und spürte durch die Decke den Herzschlag, schnell wie der eines Vogels. So ein süßes Mädchen, dachte sie. Meine kleine Meggie.
    Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und Licht strömte in den Korridor. Schwester Poole kam heraus und schloss sogleich die Tür hinter sich.
    Rose, die schon das Schlimmste befürchtete, fragte: »Meine Schwester …?«
    »Sie lebt noch.«
    »Und ihr Zustand? Wird sie …?«
    »Die Blutung hat aufgehört, mehr kann ich Ihnen nicht sagen«, beschied ihr Schwester Poole knapp. »Jetzt bringen Sie das Baby auf die Station. Da ist es wärmer. Hier im Flur ist es viel zu zugig für ein Neugeborenes.« Sie machte kehrt und eilte über den Flur davon.
    Fröstelnd sah Rose auf Meggie herab und dachte: Ja, es ist viel zu kalt hier für dich, du armes Würmchen. Sie trug das Baby zurück in die Entbindungsstation und setzte sich auf ihren alten Stuhl an Aurnias leerem Bett. Während die Nacht vorrückte, schlief das Baby in ihren Armen. Der Wind rüttelte an den Fenstern, der Eisregen tickte an die Scheiben, doch von Aurnias Zustand gab es keine Nachrichten.
    Von draußen drang das Rumpeln von Wagenrädern auf Pflastersteinen herein. Rose ging zum Fenster. Im Hof kam gerade ein leichter Einspänner zum Stehen. Das Gesicht des Kutschers war durch das Wagendach verdeckt. Plötzlich

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