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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dann ein senkrechter Schnitt, genau entlang der Längsachse des Körpers, auf das Brustbein zu, wobei die Leber verletzt wird. Die Schnitte sind so tief, dass jeder einzelne für sich den Tod herbeigeführt hätte.« Er griff mit bloßen Händen in die Wunde und hob die Eingeweide heraus. Erst nachdem er die glänzenden Schlingen eingehend untersucht hatte, ließ er sie in einen Eimer gleiten, der neben dem Tisch stand. »Es muss eine sehr lange Klinge gewesen sein. Sie ist bis zum Rückgrat durchgedrungen und hat die linke Niere oben angeschnitten.« Er blickte auf. »Sehen Sie das, Mr. Pratt?«
    »Ja. Ja, gewiss.« Pratts Blick war gar nicht auf die Leiche gerichtet; stattdessen fixierte er höchst interessiert Norris’ blutbefleckte Schürze.
    »Und dann ist da dieser vertikale Schnitt. Auch er ist enorm tief.« Er hob den Rest des Dünndarms heraus, und Wendell hielt rasch den Eimer hin, um ihn aufzufangen, als er über die
Tischkante quoll. Als Nächstes kamen die Bauchorgane, die eins nach dem anderen reseziert wurden. Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse. »Hier hat die Klinge die absteigende Aorta verletzt, was die große Menge Blut auf der Treppe erklärt.« Crouch blickte auf. »Der Tod muss sehr schnell eingetreten sein, durch Exsanguination.«
    »Ex … was?«, fragte Pratt.
    »Um es einfach auszudrücken, Sir: Sie ist verblutet.«
    Pratt schluckte krampfhaft und zwang sich schließlich, auf das Abdomen hinunterzusehen, das jetzt kaum mehr als eine leere Höhle war.
    »Sie sagten, es müsse eine lange Klinge gewesen sein. Wie lang?«
    »Um so tief einzudringen? Mindestens sieben oder acht Zoll.«
    »Vielleicht ein Schlachtermesser.«
    »Es sieht gewiss nach der Tat eines Schlachters aus.«
    »Er könnte auch ein Schwert benutzt haben«, bemerkte Wendell.
    »Ziemlich auffällig, würde ich meinen«, entgegnete Dr. Crouch. »Mit einem bluttriefenden Schwert an der Seite durch die Stadt zu marschieren.«
    »Wie kommen Sie eigentlich auf ein Schwert?«, fragte Pratt.
    »Wegen der Art der Wunden. Die beiden Schnitte, einer senkrecht zum anderen. Mein Vater hat in seiner Bibliothek ein Buch über merkwürdige Bräuche im Fernen Osten. Ich habe von Wunden wie diesen gelesen, die man sich beim japanischen Seppuku beibringt. Das ist ein ritueller Selbstmord.«
    »Hier handelt es sich wohl kaum um einen Selbstmord.«
    »Das ist mir auch klar. Aber das Muster ist identisch.«
    »Es ist in der Tat ein höchst merkwürdiges Muster«, sagte Dr. Crouch. »Zwei separate Schnitte, im rechten Winkel zueinander. Beinahe so, als habe der Täter ihr ein Zeichen in den Leib schneiden wollen – das Zeichen des …«

    »Des Kreuzes?« Pratt blickte auf, plötzlich höchst interessiert. »Das Opfer war nicht irischer Abstammung, oder?«
    »Nein«, antwortete Crouch. »Ganz bestimmt nicht.«
    »Aber viele der Patienten in diesem Krankenhaus sind es?«
    »Es ist der Auftrag des Krankenhauses, den Unglückseligen zu dienen. Viele unserer Patienten, wenn nicht die meisten, sind Wohlfahrtsfälle.«
    »Also Iren. Wie Miss Connolly.«
    »Also, nun hören Sie mal«, warf Wendell mit höchst ungebührlicher Direktheit ein. »Sie lesen ganz bestimmt zu viel in diese Wunden hinein. Dass das Muster einem Kreuz ähnelt, heißt noch lange nicht, dass der Mörder Papist ist.«
    »Sie verteidigen diese Leute?«
    »Ich weise nur auf die Mängel in Ihrer Argumentation hin. Man kann unmöglich eine solche Schussfolgerung ziehen, wie Sie es tun, nur weil die Wunden diese eigentümliche Form haben. Ich habe Ihnen einen nicht minder wahrscheinliche Deutung geliefert.«
    »Dass irgendein Bursche aus Japan mit seinem Schwert hier an Land gegangen ist?« Pratt lachte. »So einen werden Sie in Boston kaum finden. Aber Papisten gibt es hier wie Sand am Meer.«
    »Man könnte ebenso gut schlussfolgern, dass der Mörder bewusst den Verdacht auf die Papisten lenken will !«
    »Mr. Holmes«, sagte Crouch, »Sie sollten besser davon absehen, der Nachtwache zu erklären, wie sie ihre Pflicht zu tun hat.«
    »Ihre Pflicht ist es, die Wahrheit herauszufinden, und nicht, unbegründete Vermutungen aufzustellen, die auf religiöser Intoleranz beruhen.«
    Pratts Augen verengten sich plötzlich. »Mr. Holmes, Sie sind doch mit Reverend Abiel Holmes verwandt, nicht wahr? Aus Cambridge?«
    Es trat eine Pause ein, in der Norris einen Anflug von Unbehagen über Wendells Züge huschen sah.
    »Ja«, antwortete Wendell schließlich. »Er ist mein Vater.«
    »Ein guter,

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