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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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seinem Notizbuch auf und musterte Norris und Wendell, die neben dem verhüllten Leichnam standen. Pratts Blick wanderte weiter zu Dr. Crouch, der offensichtlich die medizinische Autorität im Raum war.
    »Sie sagen, Sie haben den Leichnam untersucht, Dr. Crouch?«, fragte Pratt.
    »Nur oberflächlich. Wir haben uns erlaubt, die Tote in das Gebäude zu tragen. Es schien uns nicht richtig, sie dort draußen auf den kalten Stufen liegen zu lassen, wo jeder über sie hätte stolpern können. Auch wenn es sich um eine Fremde handelte, was nicht der Fall ist, wären wir ihr dieses Minimum an Respekt schuldig.«

    »Dann ist die Tote Ihnen allen also bekannt?«
    »Jawohl, Sir. Wir haben sie erst erkannt, als wir mit der Laterne hinausgingen. Das Opfer, Miss Poole, war Oberschwester an diesem Krankenhaus.«
    »Miss Connolly muss Ihnen das doch schon gesagt haben«, warf Wendell ein. »Haben Sie sie denn noch nicht befragt?«
    »Ja, aber ich halte es für notwendig, alle ihre Aussagen zu überprüfen. Sie wissen ja, wie das ist mit diesen flatterhaften Mädchen. Und das gilt ganz besonders für die Irinnen. Die verdrehen doch nur zu gerne ihre Geschichte mal so und mal so, je nachdem, woher gerade der Wind weht.«
    »Ich würde Miss Connolly kaum als flatterhaft bezeichnen«, wandte Norris ein.
    Wachmann Pratt fixierte Norris mit zusammengekniffenen Augen. »Sie kennen sie?«
    »Ihre Schwester ist Patientin hier, auf der Entbindungsstation.«
    »Aber kennen Sie sie auch, Mr. Marshall?«
    Der prüfende Blick, mit dem Pratt ihn musterte, gefiel Norris gar nicht. »Ich habe mit ihr gesprochen. Über die Behandlung ihrer Schwester.«
    Pratts Stift flog wieder über das Papier. »Sie studieren Medizin, ist das korrekt?«
    »Ja.«
    Pratt beäugte Norris’ Kleidung. »Sie haben Blut am Hemd. Ist Ihnen das bewusst?«
    »Ich habe geholfen, die Leiche von der Treppe hereinzutragen. Und zuvor hatte ich Dr. Crouch assistiert.«
    Pratt sah Crouch an. »Trifft das zu, Dr. Crouch?«
    Norris spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Glauben Sie, ich würde Sie in diesem Punkt belügen? In Gegenwart von Dr. Crouch?«
    »Meine einzige Pflicht ist es, die Wahrheit aufzudecken.«
    Du bist doch zu dumm, um die Wahrheit zu erkennen, wenn du sie hörst.
    Dr. Crouch sagte: »Mr. Holmes und Mr. Marshall sind meine
Studenten. Sie haben mir heute am früheren Abend in der Broad Street bei einer schwierigen Entbindung assistiert.«
    »Was haben Sie denn da entbunden?«
    Dr. Crouch starrte Pratt an, offenbar fassungslos angesichts der Frage. »Was glauben Sie denn? Den gordischen Knoten vielleicht?«
    Pratt schlug mit seinem Bleistift auf das Notizbuch. »Ihr Sarkasmus ist völlig unangebracht. Ich möchte nur wissen, wo Sie alle sich heute Abend aufgehalten haben.«
    »Ich finde das unerhört. Ich bin Arzt, Sir, und ich habe es nicht nötig, über meine Aktivitäten Rechenschaft abzulegen.«
    »Und Ihre beiden Assistenten hier? Waren Sie den ganzen Abend mit den beiden zusammen?«
    »Nein, das war er nicht«, antwortete Wendell einen Deut zu beiläufig.
    Norris sah seinen Kommilitonen erstaunt an. Wozu dem Mann unnötige Informationen liefern? Das würde doch nur seinen Argwohn nähren. Tatsächlich glich Wachmann Pratt jetzt einer schnauzbärtigen Katze, die sprungbereit am Mauseloch lauert.
    »Wann waren Sie nicht zusammen?«, fragte Pratt.
    »Wünschen Sie eine Aufstellung, wann und wie oft ich auf den Pisspott gegangen bin? Ach ja, und wenn ich mich nicht irre, war ich auch mal scheißen. Und was ist mit dir, Norris?«
    »Mr. Holmes, ich halte absolut nichts von ihrem vulgären Humor.«
    »Humor ist die einzig mögliche Reaktion auf so absurde Fragen wie diese. Wir waren es schließlich, die die Nachtwache gerufen haben, Herrgott noch mal!«
    Der Schnauzbart zuckte. Das Eichhörnchen wurde langsam zappelig. »Die Gotteslästerung können Sie sich sparen«, sagte er kalt und steckte seinen Bleistift ein. »Nun denn. Zeigen Sie mir die Leiche.«
    »Sollte Constable Lyons nicht zugegen sein?«, fragte Dr. Crouch.

    Pratt warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. »Er bekommt meinen Bericht morgen früh.«
    »Aber er sollte hier sein. Das ist eine ernste Angelegenheit.«
    »Im Augenblick liegt die Verantwortung bei mir. Constable Lyons wird zu einer angemesseneren Tageszeit von den Fakten in Kenntnis gesetzt werden. Ich sehe keinen Grund, ihn aus dem Bett zu holen.« Pratt deutete auf den verhüllten Leichnam. »Decken Sie sie auf«, befahl

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