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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Nacht wie dieser so zuverlässig ihren Stachel nehmen wie ein paar kostbare Schlückchen Rum. Ein zweiter Gast in der Ecke hatte den Kopf schon auf den Tisch sinken lassen und schnarchte so laut, dass die Batterie leerer Gläser vor ihm klirrte.
    »Du bist früh zurück.«

    Jack blickte zu Fanny auf, die vor ihm stand und ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte.
    »Kein guter Abend«, sagte er nur und leerte sein Glas.
    »Denkst du, ich hätte hier einen guten Abend gehabt?«
    »Du hast ihn immerhin am Feuer verbringen können.«
    »Mit denen da?« Sie schnaubte verächtlich. »Für die hat es sich ja kaum gelohnt, die Tür aufzuschließen.«
    »Noch einen Flip!«, rief der Mann an der Theke.
    »Zeig mir zuerst deine Münzen«, gab Fanny prompt zurück.
    »Ich hab sie. Sie sind irgendwo in diesen Taschen.«
    »Aber gesehen habe ich noch nichts davon.«
    »Nun haben Sie doch ein bisschen Mitleid, gute Frau. Es ist eine kalte Nacht.«
    »Und du bist im Nu wieder draußen in der Kälte, wenn du nicht für das nächste Glas bezahlen kannst.« Sie wandte sich wieder zu Jack um. »Du bist mit leeren Händen zurückgekommen, nicht wahr?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Sie hatten Wachen aufgestellt.«
    »Und du hast es nicht noch woanders versucht?«
    »Konnte ich nicht. Ich musste die Schaufel zurücklassen. Und die Laterne.«
    »Du hast es nicht mal fertiggebracht, dein eigenes Werkzeug mit nach Hause zu bringen?«
    Er knallte sein Glas auf den Tisch. »Das reicht !«
    Sie beugte sich weiter herab und sagte leise: »Es gibt leichtere Arten, zu Geld zu kommen, Jack. Das weißt du. Lass mich nur den richtigen Leuten Bescheid sagen, und du hast so viel Arbeit, wie du dir nur wünschen kannst.«
    »Und lass mich dafür aufknüpfen?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke, da bleibe ich lieber bei meinem Handwerk.«
    »Du kommst in letzter Zeit immer öfter mit leeren Händen zurück.«
    »Es ist eben nicht mehr zu holen.«
    »Das sagst du jedes Mal.«

    »Weil es nun einmal so ist. Es wird immer schlimmer.«
    »Denkst du, mein Geschäft läuft besser?« Sie deutete mit einer ungehaltenen Kopfbewegung auf den fast leeren Schankraum. »Die sitzen jetzt alle in der Mermaid. Oder im Plough and Star oder bei Coogan. Noch so ein Jahr wie dieses, und wir werden uns nicht mehr halten können.«
    »Missus?«, rief der Mann an der Theke. »Ich weiß, dass ich das Geld habe. Nur noch ein Glas, und ich verspreche, dass ich beim nächsten Mal zahle.«
    Zornentbrannt fuhr Fanny zu ihm herum. »Dein Versprechen ist nichts wert! Wer nicht zahlt, fliegt raus. Also verschwinde!« Sie stapfte auf ihn zu und packte ihn am Kragen. »Na los, raus mit dir!«
    »Ein Gläschen können Sie doch wohl entbehren.«
    »Nicht einen verdammten Tropfen!« Sie schleifte den Mann quer durch die Stube, riss die Tür auf und stieß ihn hinaus in die Kälte. Dann knallte sie die Tür zu und wandte sich um, keuchend und mit rotem Gesicht. Wenn Fanny wütend war, bot sie einen furchterregenden Anblick, und selbst Jack duckte sich in seinen Sessel und zitterte vor dem, was noch kommen mochte. Ihr Blick blieb an dem einen verbliebenen Gast haften, der am Ecktisch eingeschlafen war.
    »Das gilt auch für dich! Es wird Zeit, dass du gehst!«
    Der Mann rührte sich nicht.
    So ignoriert zu werden, setzte den Beleidigungen die Krone auf; Fannys Gesicht lief dunkelrot an, und die Muskeln ihrer stämmigen Arme spannten sich. »Wir haben geschlossen! Raus! « Sie ging auf den Mann zu und versetzte ihm einen kräftigen Knuff in die Schulter. Doch anstatt aufzuwachen, kippte er zur Seite und fiel wie ein Sack vom Stuhl.
    Im ersten Moment starrte Fanny nur angewidert auf seinen offenen Mund und die heraushängende Zunge. Dann zog sie die Stirn in Falten und beugte sich so tief hinunter, dass Jack dachte, sie wollte den Mann küssen.
    »Er atmet nicht mehr, Jack«, sagte sie.
    »Was?«

    Sie sah auf. »Schau du ihn dir mal an.«
    Jack hievte sich aus dem Sessel hoch und ging ächzend neben dem Mann in die Knie.
    »Du hast schon so viele Leichen gesehen«, sagte sie. »Du solltest es sagen können.«
    Jack blickte in die geöffneten Augen des Mannes. Auf seinen lila verfärbten Lippen glitzerte Speichel. Wann hatte er aufgehört zu schnarchen? Wann war es am Ecktisch still geworden? Der Tod war auf so leisen Sohlen hereingeschlichen, dass sie sein Eintreten nicht einmal bemerkt hatten.
    Er blickte zu Fanny auf. »Wie heißt er?«
    »Keine Ahnung.«
    »Weißt du, wer er

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