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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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offenbar bringt eine Scheidung den wahren Charakter eines Menschen zum Vorschein.«
    Zum ersten Mal nahm sie den hässlichen, aggressiven Unterton in seiner Stimme wahr. Wie hatte sie ihn bis jetzt überhören können? Schon seine Körperhaltung hätte sie vorwarnen
sollen: breitbeinig, die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte sie.
    »Davon, dass du überall herumerzählst, ich hätte auf deinen Gefühlen herumgetrampelt! Ich hätte während unserer ganzen Ehe mit anderen Frauen geschlafen!«
    »Das habe ich nie irgendwem erzählt! Auch wenn es vielleicht wahr ist.«
    »Was redest du denn da für einen Blödsinn?«
    »Du bist doch fremdgegangen, oder nicht? Hat sie gewusst, dass du verheiratet warst, als ihr anfingt, miteinander ins Bett zu gehen?«
    »Wenn du zu irgendwem auch nur ein Wort sagst …«
    »Die Wahrheit, meinst du? Unsere Scheidung war noch nicht mal durch, da habt ihr beide schon das neue Porzellan ausgesucht. Das weiß doch jeder.« Sie hielt inne, als ihr plötzlich aufging, was hier eigentlich lief. Vielleicht weiß es eben nicht jeder.
    »Unsere Ehe war schon lange vor der Scheidung am Ende.«
    »Ist das die Version, die du allen auftischst? Mir ist das jedenfalls neu.«
    »Willst du die ungeschminkte Wahrheit darüber hören, was schiefgelaufen ist? Was ich alles hätte erreichen können, wenn du mich nicht daran gehindert hättest?«
    Sie seufzte. »Nein, Richard, das will ich absolut nicht hören. Es interessiert mich ehrlich gesagt nicht mehr.«
    »Und warum zum Teufel versuchst du dann meine Hochzeit zu torpedieren? Warum streust du Gerüchte über mich?«
    »Wer hört denn diese Gerüchte? Deine Freundin? Oder ist es ihr Daddy? Hast du Angst, er könnte die Wahrheit über seinen neuen Schwiegersohn erfahren?«
    »Versprich mir nur, dass du damit aufhörst.«
    »Ich habe nie ein Wort zu irgendjemandem gesagt. Ich habe ja nicht einmal gewusst, dass du heiratest, bis Vicky es mir erzählt hat.«
    Er starrte sie an. »Vicky. Dieses Miststück .«

    »Geh nach Hause«, sagte sie und ließ ihn stehen.
    »Du rufst jetzt sofort Vicky an. Sag ihr, sie soll gefälligst die Klappe halten.«
    »Es ist ihre Klappe. Da habe ich keinen Einfluss drauf.«
    »Ruf jetzt endlich deine verdammte Schwester an!«, schrie er.
    Das laute Gebell eines Hundes ließ sie plötzlich innehalten. Als sie sich umdrehte, sah sie Tom an der Grenze ihres Grundstücks stehen und an der Hundeleine zerren, während McCoy aufgeregt herumsprang und sich loszureißen versuchte.
    »Ist alles in Ordnung, Julia?«, rief Tom.
    »Ja, alles bestens«, antwortete sie.
    Tom trat näher – fast sah es aus, als würde er von seinem eigensinnigen Hund den Hang hinaufgezogen. Er kam bis auf wenige Schritte auf die beiden zu. »Sind Sie sicher?«, fragte er.
    »Sie«, fuhr Richard ihn an, »wir führen hier eine private Unterhaltung!«
    Toms Blick verweilte auf Julia. »Das klang aber nicht sehr privat.«
    »Es ist schon in Ordnung, Tom«, sagte Julia. »Richard wollte gerade gehen.«
    Tom wartete noch eine Weile, als wollte er sich vergewissern, dass die Situation unter Kontrolle war. Dann machte er kehrt und ging mit dem Hund im Schlepptau zurück zum Weg, der unten am Bach entlangführte.
    »Wer zum Teufel ist das?«, fragte Richard.
    »Ein Nachbar.«
    Richard verzog die Lippen zu einem hässlichen Grinsen. »Ist er der Grund, weshalb du das Haus gekauft hast?«
    »Verschwinde aus meinem Garten«, sagte sie und ging zurück zum Haus.
    Als sie durch die Tür trat, hörte sie das Telefon klingeln, doch sie lief nicht hin, um abzuheben. Ihre Aufmerksamkeit war noch immer von Richard abgelenkt. Durchs Fenster beobachtete sie ihn, bis er endlich ihren Garten verließ.

    Der Anrufbeantworter sprang an. »Julia, ich habe gerade etwas gefunden. Wenn Sie nach Hause kommen, rufen Sie mich doch zurück, dann kann ich …«
    Sie nahm den Hörer ab. »Henry?«
    »Oh. Sie sind da.«
    »Ich bin eben nach Hause gekommen.«
    Eine Pause. »Was haben Sie denn?«
    Für einen Mann, dem es an den grundlegendsten sozialen Fertigkeiten gebrach, hatte Henry ein geradezu unheimliches Gespür für ihre Stimmungen. Sie hörte einen Motor anspringen, ging mit dem Telefon ans Wohnzimmerfenster und sah Richards BMW davonfahren. »Nichts, gar nichts«, sagte sie. Nicht mehr.
    »Es war in Karton Nummer sechs«, sagte er.
    »Was?«
    »Das Testament von Dr. Margaret Tate Page. Es stammt aus dem Jahr 1890, als sie

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