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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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etwas eng anlag, aber sehr preisgünstig gewesen war. Leider konnte niemand das an der Innenseite angebrachte Etikett mit der Aufschrift »Christian Dior« sehen. Viele meiner italienischen Markenschuhe waren Okkasionen. Sie drückten mich oft fürchterlich, und ich hoffte, dass meine vorstehenden Überbeine – ein Erbe von Großmutter und Mutter, die beide unter Deformierungen der Füße litten – nicht allzu sichtbar wurden.
    Auch Kosmetika leistete ich mir nie, obwohl ich in den großen Drogeriefilialen in der Nähe meiner Bank zur treuen Stammkundschaft zählte. So streifte ich jeden Morgen durch die Geschäfte, wobei ich, um nicht aufzufallen, meine Gunst nach einem genau erdachten Plan reihum auf die Parfümerien verteilte. Dort rüstete ich mich für den Tag, denn als »Tester« markierte Utensilien gab es zuhauf. Zuerst zog ich mit einem Kajalstift einen gekonnten Strich auf meine Lider. Dann trug ich Lidschatten und Make-up auf, bestäubte mein Gesicht mit losem, schön transparentem, sündteurem Puder. Bei der Verwendung der Produkte achtete ich stets auf erste Qualität. »Ich liebe Prada«, freute ich mich, wenn ich mich am Ende meiner Toilette mit dem teuersten Parfum des Regals von oben bis unten bestäubte und, gleichsam auf Vorrat, mein Taschentuch damit durchtränkte.
    Trotz intensiver Schönheitspflege hielt sich das Interesse junger Männer an meiner Person in sehr engen Grenzen. Über Belästigungen durch das starke Geschlecht konnte ich mich nicht beklagen, zu meinem großen Bedauern verschonten mich »Stalker« jeder Art. Mir fehlte männliche Gesellschaft, ich sehnte mich nach Liebe, Flirt und Abenteuer. Eine Schule für modernen Gesellschaftstanz sollte diesen Mangel beheben.
    Positive Gedanken überfluteten mein Hirn. Zu allererst: Tanzen killt Kalorien. Bei einer Stunde Walzer verliert man 360 Kalorien, den Gegenwert von hun dert Gramm Blutwurst. Eine Stunde Rock’n’ Roll wür den weitere 500 Kalorien verbrennen. Abgesehen von einem Training der Bauch-Rücken- und Beinmuskeln, das mir ein Fitness-Studio ersparte, sollte Cha-Cha-Cha meine Anmut und Ausdauer fördern und ganz nebenbei meine beiden Gehirnhälften positiv stimulieren. Das beim Tanzen in erhöhtem Maße ausgeschüttete Sexualhormon Testosteron wiederum würde mir den ersehnten Partner bescheren.
    Beflügelt von großen Erwartungen eilte ich daher nach Büroschluss »aufgemascherlt« zur Tanzschule. Zunächst wies man uns an, auf der langen Bank Platz zu nehmen, die an der Stirnseite des durch einen Kristalllüster in gleißendes Licht getauchten festlichen Saals mit seinem spiegelnden Parkett stand. Burschen mit weißen Handschuhen verbeugten sich höflich vor den sitzenden jungen Damen. Ein Mädchen nach dem anderen wurde aufgefordert und entschwand. Bald war das Parkett voll mit fröhlichen Paaren, die sich zu den Klängen eben gelernter Tanzschritte flott im Kreis drehten. Niemand wollte mich; mitleidig beäugt von allen, blieb ich allein zurück. Schließlich rief die in einen strengen dunklen Hosenanzug gekleidete, vornehm sprechende Kursleiterin ein korpulentes Bürschchen mit rotem, pickelübersätem Gesicht energisch zu sich, ihre ausgestreckte Hand wies auf mich. Wider willig gehorchte er der herrischen Geste, ging linkisch auf mich zu und holte mich zum Tanz.
    Auf diese Weise lernte ich zwar Foxtrott, Boogie und Walzer, doch der Zweck meiner rhythmischen Übungen, nämlich Arznei für Figur und Herz zu sein, erfüllte sich nicht. Die feschen, großen und guten Tän zer mieden mich. Sie schwebten beim feurigen Tango Argentino mit ebensolchen feschen, großen und guten Tänzerinnen an mir vorbei, während mein hässlicher Partner mit den schwitzenden Händen und den zahllosen Hautunreinheiten im Gesicht erbarmungslos auf meinen zarten Füßen herumtrampelte. Kein anderer opferte sich für mich, und wenn ich ehrlich war, ergänzten wir einander. Auch ich war nicht gertenschlank und durch die einseitige Ernährung ebenfalls mit Pusteln übersät. Kein Wunder, dass sich mein armer Körper trotz der himmlischen Klänge, die an mein Ohr drangen, weigerte, Glückshormone auszuschütten. Meine Stresshormone reduzierten sich auch nicht, ganz im Gegenteil, wilder Zorn machte sich breit. Schließlich raffte ich mein goldfarbenes Abendtäschchen an mich, zischte der Tanzmeisterin »Dafür zahle ich nichts!« zu, ließ den jungen Mann mitten auf dem Tanzparkett stehen und brach das misslungene Experiment ab. Beim Verlassen

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