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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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die säuberlich verpackten Reste des Mittagessens. »Damit ihr nicht verhungert«, scherzte sie. Mein Vater schwieg eisern, während wir Poldis hellblaues Puch-Auto bestiegen. Es war etwas verbeult, in der Bodenplatte klaffte ein großes Loch. Viele verborgene Mängel machten jede Fahrt mit dem altersschwachen Gefährt zu einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Auch diesmal wollte und wollte der Motor nicht anspringen. Mein Freund betätigte mit vor Scham hochrotem Kopf und wachsender Verzweiflung wiederholt den Starter. Erst als meine Eltern mit vereinten Kräften anschoben, setzte sich das Auto langsam in Bewegung. »Schaut aus, als ob si de Hermi net grod an Millionär g’angelt hätt«, quittierten die Nachbarn voll Schadenfreude die Episode.
    Kurz danach wünschten auch Poldis Eltern mich zu sehen. Abermals fuhren wir aufs Land, diesmal in ein abgelegenes Dorf, circa fünfzig Kilometer nördlich von Wien. Niedere Gehöfte säumten die einzige Straße des Orts, in dem es weder ein Geschäft noch ein Wirtshaus gab. Eine Kapelle und ein Zeughaus der freiwilligen Feuerwehr genügten den religiösen und sozialen Bedürfnissen der Einwohner. Alles wirkte öde und ausgestorben. Kein Mensch war zu sehen, als wir gegen Mittag auf dem Dorfanger parkten. »Wann gießen die eigentlich ihre Pflanzen?«, fragte ich mich beim Anblick der vielen Fensterkistchen mit blühenden Petunien und Hängepelargonien. »Schleichen sie sich erst bei Einbruch der Dunkelheit heraus, um den Blumenschmuck in aller Heimlichkeit zu pflegen?« Schemenhafte Schatten hinter dicht geschlossenen Vorhängen, die sich, wie im Wind, leicht bewegten, verrieten uns, dass neugierige Beobachter zwar unser Kommen genau registrierten, es jedoch vorzogen, sich nicht zu zeigen.
    Poldis Eltern bewohnten einen Bauernhof, der sich seit Generationen in Familienbesitz befand. Das unmittelbar an der Straße gelegene Wohnhaus wurde zu beiden Seiten von Wirtschaftsgebäuden flankiert. Aus Ställen mit halb blinden, schwer vergitterten Fensteröffnungen drang das Grunzen von Schweinen, gelegentlich muhten Kühe, deren Halfter klirrten, wenn sie die Schwärme von Fliegen, die sie bedrängten, ab zuschütteln versuchten. In einer Ecke des Hofs lag, nur von einer Betonwand abgeschirmt, ein großer Haufen Stallmist als Dünger bereit. Hinter einem morschen Zaun befand sich ein Garten mit Gemüsebeeten, krum men Apfelbäumen und einem halb verfallenem Lusthäuschen. Im Anschluss daran folgten die Hofäcker, auf denen man Rüben, Weizen, Gerste und Hafer anbaute.
    Die Lebensumstände der Familie E. wirkten auf mich als Tochter eines kleinstädtischen Beamten befremdlich. »Wastl«, ein Mischling undefinierbarer Rasse mit walzenförmigem Körper, dem Kopf eines Schäferhundes und den krummen Beinen eines Dackels, begrüßte uns stürmisch. Ein weiterer unerwartet herzlicher Empfang folgte. Mit den Worten »Se san also die Hermine« umarmte mich die untersetzte, gemütliche Mutter meines Freundes. Sein Vater, ein schweigsamer, knorriger Bauer, hieß uns ruhiger willkommen. Peinliche Fragen über Herkommen und Vermögen unterblieben. Ohne Umstände nahmen wir auf der Sitzbank in der großen, niederen Wohnstube Platz, man kredenzte uns Holundersaft als Willkommenstrunk. Ich sah mich um. Durch die kleinen Fenster fiel nur wenig Licht, sodass der Raum auch zu Mittag in ein Halbdunkel getaucht blieb. Eine bunte, pflegeleichte Plastikdecke bedeckte den Esstisch im Herrgottswinkel unter dem mit verstaubten Palmkätzchen geschmückten Kruzifix. An der Wand hing eine von der Hausfrau selbst bestickte Zierdecke mit dem besinnlichen Spruch »Der Herrgott sieht alles!« in blauen Kreuzstichen. »Vielleicht eine Warnung an ihren Mann!«, dachte ich mir. In einer altmodischen Kredenz befand sich allerlei Geschirr. Auf einer bunt bemalten Truhe räkelte sich eine getigerte Katze. Ein durchgelegenes Sofa mit bestickten Polstern und weicher Decke neben dem riesigen gemauerten Herd wies Spuren häufiger Benützung auf.
    »Wir essen nur leicht«, kündigte Poldis geschäftig mit Pfannen und Töpfen hantierende Mutter an, nachdem mir der Hausherr bei einem Rundgang Haus, Hof und Tiere gezeigt hatte. Sie trug daher zuerst eine dampfende Leberknödelsuppe, dann eine saftig gebratene, im Fett schwimmende Schweinsstelze auf. »Bei uns is heut das Feuerwehrfest. Da ess ma dann ordentlich. Ihr kommst’s ja eh mit?« Und wir gingen.
    Auf einer Wiese außerhalb des Dorfes hatte man ein stabiles, für

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