Leichenroulette - Roman
gemeinsam, zuerst nebeneinander her, dann bald Hand in Hand durch die kunstvollen Blumen-Parterres der imperialen Gärten von Schloss Schönbrunn. Wir nahmen den gewundenen Pfad, der durch ein kleines Wäldchen hinauf zur Gloriette führt. Mittendrin küsste mich der künftige Erfolgsautor schüchtern. »Ich bin der Poldi!« – »Ich die Hermi!«
Anschließend gab er mir eine Probe seines historischen Wissens: »Die Gloriette ist ein Belvedere, das den Schönbrunner Berg krönt und zugleich den harmonischen Abschluss der Schlossanlage bildet. Den frühklassizistischen Kolonnadenbau ziert, wie du siehst, ein mächtiger Reichsadler mit Weltkugel.« Wir ließen uns in dem Kaffeehaus der Gloriette nieder und tranken Kaffee. Danach bestiegen wir die Plattform des flachen Daches, wo mir Poldi von der luftigen, etwas windigen Höhe aus geduldig die Silhouette der Stadt erklärte. Unsere Blicke wanderten über das raffiniert angelegte Areal der riesigen einstigen kaiserlichen Domäne, Wiens beliebtester Sehenswürdigkeit. »Weißt du, früher ist das alles offenes Land gewesen. Jetzt ist es noch immer eine beschauliche Oase der Ruhe und Erholung, nur halt fast am Rand der Großstadt.« Die ausgedehnten barocken Gärten, die dichten, mit Statuen gesäumten Laubengänge, die lauschigen, versteckten Rondelle, plätschernden Brunnen und künstlichen Ruinen waren tatsächlich sehr schön. Doch meine Gedanken schweiften ab: Was konnte man sich um 45 Millionen Schilling alles leisten? Eine Prachtvilla in Hietzing mit großem Garten, ein tolles Auto, eine Weltreise …
»Ich glaube, du passt nicht auf! Ich erzähle dir gerade die Geschichte von Schönbrunn.« Ich heuchelte Interesse, und Poldi setzte von Neuem dozierend an: »Also, das Prunkschloss geht, obwohl es bereits einen Vorgängerbau gab, auf die schon allen Volksschulkindern gut bekannte und von vielen Historikern als bedeutendste Herrschergestalt des Hauses Habsburg eingestufte Kaiserin Maria Theresia zurück. Ihr Architekt Nicolo Pacassi gestaltete Schönbrunn als ihre Sommerresidenz. Du weißt schon, dass Maria Theresia nur durch Zufall an die Macht kam? Ihrem Vater, Karl VI ., war der männliche Thronerbe im Säuglingsalter verstorben. Danach setzte er ganz auf seine energische älteste Tochter, die er sehr liebte. Unermüdlich warb Karl VI . an den europäischen Fürstenhöfen für die Anerkennung der weiblichen Erbfolge. Er opferte dafür ein Vermögen und schloss Verträge, an die sich bei seinem Tod niemand hielt. Seiner Tochter eine fundierte Ausbildung mit auf den Lebensweg zu geben hielt er nicht für notwendig. Im Alter von 23 Jahren stand Maria Theresia dann eine übermächtige Allianz von Bayern, Spanien, Preußen, Frankreich, Schweden, Neapel und Kurpfalz gegenüber. Man bestritt ihr Erbrecht und plante die Aufteilung der habsburgischen Länder. Acht Jahre dauerte der Kampf um die Existenz der Monarchie.« Ich drehte gerade meinen Kopf zur Seite, um ein Gähnen zu verbergen, als Poldi seinen langen Vortrag abschloss: »Für heute ist es genug, zu viel kannst du gar nicht fassen! Nächste Woche mehr davon. Ich bin neugierig, was du dir merkst. Ich werde dich prüfen.« Mein Privatlehrer beendete seine erste Lektion. Viele weitere sollten folgen.
Als ich Poldi ungefähr sechs Monate lang kannte, be standen meine Eltern, denen ich von meiner Bekanntschaft erzählt hatte, darauf, dass ihnen »der Bursch, mit dem die Hermi geht« vorgestellt werde. »Na ja, was wird er schon sein?«, äußerten sie unverhohlen ihre Skepsis über die Fähigkeiten ihrer Tochter, sich einen passenden Ehemann zu angeln.
Tatsächlich gefiel Leopold meinem Vater überhaupt nicht. Mit hervorquellenden Augen maß er ihn wortlos von oben bis unten. Welche unerfreulichen Gedanken er dabei wälzte, blieb uns Gott sei Dank verborgen. Nach der kürzestmöglichen Begrüßung nahm er meinen Freund beiseite und unterzog ihn ohne weitere Umschweife einem strengen Verhör. »Woher kommen Sie? Was machen Ihre Eltern? Verdienen Sie genug, um eine Frau zu ernähren? Haben Sie berufliche Aus sichten?« Er gebärdete sich wie ein viktorianischer Patriarch aus dem 19. Jahrhundert. Ich genierte mich sehr, doch Poldi murrte nicht, ließ den Test wider spruchslos über sich ergehen. Geduldig gab er Auskunft, bis meine Mutter die unwürdige Szene beendete und zu Tisch bat.
Bei Rindsrouladen mit Reis lockerte sich die Atmosphäre, es wurde fast gemütlich. Beim Abschied überreichte uns meine Mutter
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